Gott, du hast uns geprüft und geläutert, wie das Silber geläutert wird. (Psalm 66,10)


Schärfer als ein Schwert - Gottes Wort

Predigt am 20.2.2022 über Hebräer 4,12-13 - von Pfr. Gerd Krumbiegel

Liebe Gemeinde,
Sie kennen die Szene vermutlich. Entweder aus einer der Arztserien oder aus einem Bericht:(1) Geflieste Wände, weißes Licht, Mundschutz, grüne Kittel. Hände werden gewissenhaft bis zum Ellenbogen desinfiziert. Röntgenbilder hängen an einer erleuchteten Wand, Befunde werden sortiert. Und nochmal ein großer grüner Kittel wird übergestreift. Alles geschieht in Routine, zielgerichtet und konzentriert. Sterile Instrumente werden vorbereitet und ausgelegt. Ein eingespieltes Ritual. Jetzt kein überflüssiges Wort mehr. Der Patient atmet tief und ist weitgehend mit grünen Tüchern abgedeckt; nur auf dem Brustkorb ist eine Stelle freier Haut zu sehen. Zu hören sind nur die gleichmäßigen Herztöne. Dann sagt eine Stimme ruhig aber bestimmt: „Skalpell bitte.“
   „Denn“, so heißt es im Brief an die Hebräer: „Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen.“

   Liebe Gemeinde, die Szene aus dem Operationssaal lässt einen erschauern. Unser Predigttext, wenn wir ihn näher betrachten, möglicherweise ebenso. Gottes Wort ist wie ein zweischneidiges Schwert, das alles durchdringt; und wir als diejenigen, auf die sich Gottes Wort richtet. Doch befinden wir uns eben in einem Operationssaal und nicht auf einem Schlachtfeld! Was durch Gottes Wort an uns geschieht mag schmerzhaft sein, aber es geht um Heil-Werden und Neu-Werden und nicht um ein Zerstören.
   Drei Eigenschaften werden von Gottes Wort ausgesagt: es ist lebendig, es ist kräftig und es ist scharf. - Und was wir hier zunächst heraushören, das ist sicherlich geprägt von den Auseinandersetzungen der Gegenwart. Da weist der Gesundheitsminister die Darstellung einer Zeitung „scharf“ zurück(2), da findet ein Gegner der Maßnahmen „kräftige“ Worte. Wir sind in einen regelrechten Überbietungswettbewerb der Worte geraten. Und wir merken dabei gar nicht, wie die Worte, die wir da sagen, immer stumpfer werden. Sie behalten ihre Wirkung nur, wenn wir am Lautstärkeregler drehen und mit dem Mischpult die schrillen Töne hervorheben.
  Ein Kollege schrieb mir per Mail: Mich beschäftigt, wie stark Menschen auf mediengeleitete Dinge anspringen, aber viel weniger auf die von uns gesagten Worte bzw. natürlich zuerst auf die biblischen Worte. So muss ich mich oft für Dinge verteidigen, die ich nie gesagt habe. Es ist so schwer geworden, auf die leiseren Zwischentöne aufmerksam zu machen. Alles heischt um maximale Aufmerksamkeit mit maximaler Lautstärke. In diesem "Konzert" [der Worte] mitzuhalten, ist mir nicht möglich. Mir gefällt das Nachdenkenswerte und Besonnene. Das möchte ich auch weiterhin stärken.
   Und aufgrund dieser Lautstärke stecken wir uns im übertragenen Sinne Oropax in den Gehörgang und machen uns unempfindlich. Das ist einerseits ein verständlicher Selbstschutz, doch gleichzeitig dringen wir nicht mehr durch zueinander. Denn das Entscheidende fehlt, damit wir kräftig nicht mit „laut“ verwechseln und scharf nicht mit „verletzend“: Das Entscheidende ist, dass wir Worte finden, die – wie Gottes Wort – vermögen lebendig zu machen.
  Ja, es gibt sie, diese Worte, die lebendig machen; Worte, die den Knoten einer festgefahrenen Diskussion lösen und ein Fenster öffnen. Worte, die nicht an der Oberfläche bleiben, sondern unter die Haut gehen und uns tief im Inneren berühren, Worte des Trostes und der Zuneigung: „Ich bin bei dir.“, Hab keine Angst." „Ich stehe dir bei.“, „Lass uns noch einmal von vorn anfangen.“, „Ich liebe dich.“ Das sind Worte, die keinen Lautstärkeregler brauchen um zu wirken; Worte, die nicht ausgefeilt sein müssen, um unser Herz zu erreichen. Und es gibt sie. - Wenn nun schon unsere menschlichen Worte so wirkungsvoll sein können, um wieviel mehr erst Gottes Wort!
  Zuerst wird dieses Wort lebendig und lebensschaffend genannt. Gottes Wort schafft Leben, wo vorher Tod und Chaos war: So heißt es am Anfang der Bibel: Und Gott sprach: „Es werde Licht – und es ward Licht.“(1.Mo 1,3) Und es geschah so! Es ist das, was der Hauptmann von Kapernaum von Jesus erbat: „Sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht/meine Seele gesund. – Und sein Knecht wurde gesund zur selben Stunde.“ (Mt 8,8.13b)
   Als Zweites wird Gottes Wort kräftig genannt. Im Griechischen heißt es „energäs“, also energiegeladen. Unsere Worte bleiben dagegen derzeit merkwürdig leer; gleichen eher Worthülsen, die austauschbar sind und wirkungslos abprallen. - Gottes Wort aber bewirkt, was es sagt. Jedes Jahr erzähle ich unseren Konfirmanden von Altbischof Ulrich Wilckens, der als 16-Jähriger voller Angst an die Front musste. Im Schützengraben liest er in einem kleinen Neuen Testament das Wort „Christus spricht: In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Und er schreibt: Da hörte ich dies auf einmal so unmittelbar in mein Herz gesprochen... dass ich wusste: dies ist Gottes Stimme. Ich wurde getrost, ja tief glücklich inmitten aller Angst... Diese Stunde hat mein Leben zuinnerst verändert; ich habe angefangen, als Christ zu leben. Ich habe die Bibel lieben gelernt.(3) So kräftig ist Gottes Wort, dass es eine Situation tiefster Angst und Verlassenheit wandeln kann in ein Aufgehoben sein bei Gott.
   Und als Drittes heißt es: „Gottes Wort ist schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Zweischneidig heißt hier nicht, dass Gottes Wort etwas Unsicheres wäre. Zweischneidig, „di-stomos“, darin steckt das Wort stoma. Wer zum Stomatologen, zum Zahnarzt geht, weiß, er muss den Mund aufmachen. Wir können di-stomos also auch mit „zwei-mündig“ übersetzen. Es spricht auf zweierlei Weise zu uns. Gottes Wort ist keine durchgängige Frohbotschaft, sondern spricht auch vom Gericht. Gottes Wort richtet mich auf, aber es klagt mich auch an und fordert mich auf, mein Leben zu ändern, und es Gott nicht vorzuenthalten. Gott sichert mir zu: „Ich bin bei dir, alle Tage, bis an der Welt Ende.“(Mt 28,20)  Aber er fordert mich auch auf: „Komm, kehre um und folge mir nach!“(vgl. Mk 10,21b) Und hier kann man förmlich sehen, wie das zweischneidige Schwert, wie Gottes Skalpell ansetzt: und es dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.
   Liebe Gemeinde, wenn wir einen Chirurgen fragen, was das Ziel ist, warum er bei einer OP mit dem Skalpell schneidet, dann würde er in Etwa antworten: „Das Schneiden schafft in der Regel den Zugang zum Ort des Geschehens, damit man dort in der Tiefe die eigentliche heilende Maßnahme vornehmen kann.“(4) Gottes Wort muss deshalb so tief in unser Innerstes vordringen, weil unsere Verletzungen, aber auch unser Böses so tief sitzen, dass es einen Eingriff von außen braucht. Es braucht diese Operation am Herzen, ohne die wir bleiben wie wir sind. Dass Gott uns kennt und ins Herz sieht, das ist dabei beängstigend und tröstlich zugleich: Angesichts aller dunklen Wege und Absichten, die durchs eigne Herz schleichen, macht das ängstlich; doch im Blick auf das, was wir erdulden und innerlich aushalten müssen, ist es tröstlich, dass er darum weiß: Die Schuld, die du schon seit Jahren verdrängst: Er kennt sie. Dein Ertragen einer schwierigen Situation: Er sieht es. Die inneren Kämpfe auf deinem äußerlich so gelungenen Weg: Er kennt sie. Er weiß, was dich bewegt und umtreibt. Er weiß es, darum kannst du ihm nichts vormachen und darum brauchst du ihm nichts vormachen.
   Liebe Gemeinde, Gottes Wort ist lebendig, kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und so findet es seinen Weg in unser Herz, so wie in der folgenden Geschichte: "Ludwig Harms erzählt von einem Gastwirt in England. Der ging den Weg des Verderbens und zog seine Gäste mit in das Verderben hinein. Reichlich Alkohol und zweifelhafte Vergnügungen waren sein Lebensinhalt. Eines Tages stirbt in seiner Verwandtschaft ein naher Angehöriger. Ob er will oder nicht, er muss zur Trauerfeier in die Kirche und die Predigt anhören. Aber in seiner Abneigung gegen Gottes Wort beschließt er, während der Predigt beide Ohren zuzuhalten. So sitzt der Gastwirt taub unter den Zuhörern und verschließt sich dem Wort Gottes buchstäblich. Da sticht ihn eine Mücke in die Nase. Gedankenlos nimmt er die Hand vom Ohr und verscheucht die lästige Mücke. In dem kurzen Augenblick hört er den Satz des Predigers: „Bestelle dein Haus, denn du musst sterben.” Schnell hält er sich wieder die Ohren zu und wartet auf das Ende der Feier. Aber das eine Wort geht nun mit ihm nach Hause, und er kann es nicht wieder loswerden. Das Wort steht morgens mit ihm auf, geht abends mit ihm zu Bett, kehrt in seinen Träumen wieder. Der Mann kann es nicht loswerden. Am Ende ergibt er sich Gott, kehrt um und beginnt ein neues Leben. Er bestellt sein Haus und lädt Gott in seinen Lebenshaushalt ein. Aus dem Wirtshaus und dem Ort des Verderbens wird eine Herberge und ein Ort der christlichen Gastfreundschaft."(5)
   Liebe Gemeinde, wenn wir auf der Suche sind nach Worten, die Leben schaffen und die bewirken, was sie sagen; wenn wir um Worte ringen, mit denen wir wieder zueinander durchdringen, dann sollten wir nicht zuerst im Zettelkasten unserer Weisheiten suchen; dann sollten wir uns Gottes Wort aussetzen. Wir sollten aufhören uns im übertragenen Sinne die Ohren zuzuhalten, weil wir meinen, die Lektüre der Tageszeitung und der Internetblogs wäre gehaltvoller als das Wort der Bibel.
   Wenn wir Gottes Wort wieder an die Stelle setzen, die ihm zukommt und wenn wir seinem Wort unsere ganze Aufmerksamkeit schenken, dann wird geschehen, was wir für unmöglich halten. Dann wird das Bild des Operationssaals nicht das Letzte sein, sondern dann wird etwas an unserem Herzen geschehen und das Bild wird sich verändern: Wir sehen uns aufwachen. Nicht mehr in einem gefliesten Raum, sondern in einem Zimmer in hellen Farben. Dann wird kein Röntgenbild an der Wand hängen, sondern Sonnenlicht scheint durchs Fenster und auf dem Nachttisch stehen Blumen. Und dann sitzt da einer neben uns; und mit derselben Stimme, mit der er sagte: „Skalpell bitte!“ spricht er nun: (Hebr. 13,9) „Es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade.“ Und sein Wort ist Gnade. Amen.

Verwendete Literatur:
(1) Peter Schaal-Ahlers, in: Predigtstudien, Perikopenreihe II, erster Halbband 2015/2016, S. 135-139. - (2) https://web.de/magazine/news/coronavirus/manipulative-fehldarstellung-lauterbach-kritisiert-bild-zeitung-scharf-36621116 - (3) Ulrich Wilckens in: Reinhold Ruthe, Wenn ich ihn doch sehen könnte. Wie man mit Gott Erfahrungen macht, S. 31. - (4) Jürgen Degreif, Chefarzt der Unfallchirurgie im Esslinger Klinikum, in: (1) S. 136. - (5) Axel Kühner, Eine gute Minute. 365 Impulse zum Leben, S. 138f.

 

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