Gott, du hast uns geprüft und geläutert, wie das Silber geläutert wird. (Psalm 66,10)


Ein Zuschauen, das dich verändert

Predigt zu Karfreitag über Lukas 23,32-49
von Pfarrer Gerd Krumbiegel

Liebe Gemeinde,
in dem Passionslied, das wir nach der Predigt singen, heißt es: „Herr stärke mich, dein Leiden zu bedenken, mich in das Meer der Liebe zu versenken, die dich bewog, von aller Macht des Bösen uns zu erlösen.“ (EG 91,1)
   Und in der Tat, es braucht Kraft und auch Überwindung, sich die Bilder des Leids anzuschauen, das die Berichte über die Kreuzigung Jesu uns da vor Augen führen. Möglicherweise ist auch das ein Grund, warum der Karfreitag mit dem Bedenken des Leids mit Ostern und seiner Freude nicht mithalten kann. Und doch geschieht hier und heute zu Karfreitag etwas Unverzichtbares; und doch ergehen sich die Berichte über den Tod Jesu nicht in Gewaltschilderungen, sondern erzählen bereits durch das Dunkel hindurch vom Licht. Besonders ist mir das dieses Jahr beim Evangelisten Lukas aufgefallen, der die Kreuzigung Jesu so beschreibt:

Es wurden aber auch andere hingeführt, zwei Übeltäter, dass sie mit ihm hingerichtet würden. Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes. Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber! Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König. Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! Da antwortete der andere, wies ihn zurecht und sprach: Fürchtest du nicht einmal Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei. Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er. Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser Mensch ist ein Gerechter gewesen! Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um. Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.
Der Herr segne an uns sein Wort. Amen.

„Das Volk stand da uns sah zu. Von der Kanzel und im Abstand von gut 2000 Jahren kann ich leicht mit dem Finger auf dieses Volk zeigen. Steht einfach da und schaut zu. Katastrophentourismus auf Golgatha. Ich kann dem Volk leicht vorwerfen, dass es nicht eingegriffen habe, dass es passiv geblieben sei, als Unrecht geschah. Aber wie sinnlos wäre dieser Vorwurf, wie anmaßend und ungerecht. Was hätte es denn tun sollen angesichts der römischen Soldaten? Den Aufstand wagen? Ausgerechnet auf der Schädelstätte?"(1)
   Das Volk stand da uns sah zu. Niemand, der es gesehen hat, wird ihn je vergessen, diesen ersten Karfreitag auf Golgatha. Niemand wird ihn vergessen, den 11. September 2001, als sich Flugzeuge in Türme bohren und die Türme des World-Trade-Center dann kollabieren. Niemand, der es gesehen hat, kann sie vergessen, die Militär-LKWs von Bergamo. Niemand, der sie gesehen hat, kann sie vergessen, die Ruinen von Wohn- und Krankenhäusern in der Ukraine, die rauchenden Trümmer, Menschen reglos auf den Straßen liegend, Flüchtende, denen das Grauen im Gesicht steht.
   "Das Volk stand da uns sah zu. Hilflos zusehen kann schrecklich sein." Zusehen auch von zu Hause vor dem Fernseher. Sehen, was Menschen auf Golgatha einander antun und nichts tun können. "Außer vielleicht dies: den Blick nicht zu schnell abwenden. Erinnern, was geschah, und fragen, warum es geschieht. Nicht zu schnell zur Tagesordnung meiner kleinen heilen Welt übergehen angesichts von Golgatha."(1)
   Und Lukas nimmt uns mit, er zeichnet das Bild mit wenigen Strichen: Drei Kreuze, Jesus unter Übeltätern. Das Schlagen ans Kreuz, doch hier die erste Irritation, dort wo der zu Unrecht Geschundene normalerweise den Richter und seine Henker verflucht, die ihnen Gewalt antun, da betet Jesus. „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
    Kleider werden entrissen und verteilt. Essig und Spott wird ausgeteilt und das nicht zu knapp. Dreimal wird Jesus verspottet und nicht nur seiner Kleider, sondern auch seines Anspruchs entkleidet:
   Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes. 36 Es verspotteten ihn auch die Soldaten… und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber! … Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!
   „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.“ So muss das in Jesu Ohren klingen. Und weil er sich nicht hilft, sich nicht selbst rettet, sind für die Spottenden all die Hoheitstitel widerlegt: Kein Christus, kein Auserwählter, kein König der Juden.
   Und das Volk stand da und sah zu.
Doch das Volk sieht nun auch etwas anderes, die Situation kippt, ganz langsam. Es geschieht etwas, das aus den Zuschauern Betroffene machen wird. Sie, die meinten, einem "Schauspiel" (so im Griechischen) beizuwohnen, dem man mit verschränkten Armen folgen kann, oder auch mit einem Blick durch die Finger der vors Gesicht gehaltenen Hände, sie werden in ein Geschehen hineingezogen, dass sie selbst anders gehen lassen wird, als sie gekommen sind. So wie auch wir nach dem Blick auf Jesu Kreuz anders aus diesem Gottesdienst gehen, als wir gekommen sind.
   Dem dreimaligen Spott, der dreimaligen Aufforderung, sich selbst zu helfen folgt eine dreifache Veränderung der Beteiligten: des Mitgekreuzigten, des Hauptmanns und des Volkes.(2 S.397)
   Da antwortete der andere, wies ihn zurecht und sprach: Fürchtest du nicht einmal Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.

Liebe Gemeinde in diesen Zeilen bildet sich eine Lebenswende ab. In diesen wenigen Sätzen, die beim Lesen nicht mehr als 20 Sekunden brauchen, ändert sich alles. Ein Leben, das schief und kaputt war bis zuletzt, erfährt in den letzten Lebensminuten eine Umkehr zu Freiheit und Hoffnung über dieses Leben hinaus. Der sogenannte Schächer am Kreuz wird damit zu einem Bild dafür, wie wir bei Jesus ankommen:
   Drei Schritte geht er in den wenigen Sätzen: wir empfangen, was unsre Taten verdienen. Der Übeltäter, "er erkennt sich als rechtmäßig verurteilt an."(2, S.399) Er lastet seine Schuld nicht anderen an, er hält sich nicht im Grunde für einen guten Kerl, bei dem Gott schon ein Auge zudrücken werde, nein er bekennt sich schuldig: wir empfangen, was unsre Taten verdienen. Das mag zu Karfreitag auch uns gegeben sein, zu dieser Einsicht durchzudringen: Nach meinen Taten verdiene ich vor Gott nicht das Leben, sondern den Tod.
   Der zweite Schritt ist, der Schächer wendet sich an Jesus, tut also das was wir tun, wenn wir beten: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!. Im Gegensatz zu den Umstehenden, traut der Übeltäter Jesus zu, ihm helfen zu können, ihn zu retten. Das muss man sich vorstellen, von Jesus, der ans Kreuz geschlagen äußerlich gerade gar nichts tun kann, von ihm erwartet und erbittet er Hilfe. Denn er erkennt in Jesus mehr als einen Menschen. Er erkennt in ihm einen Herrn, dessen Reich nicht von dieser Welt ist. Und das ist zugleich der dritte Schritt: das Vertrauen zu Jesus, der auch dann noch helfen und halten kann, wo menschliche Möglichkeiten an ihr Ende kommen.
   Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. Mit Jesus sein heißt, in sein Reich versetzt sein, noch heute. Herr denke an mich, denke an unsere Not, an unsere Schuld und an unsere Karfreitage. Und Jesus sagt: noch heute bin ich mit dir und du wirst mit mir sein.
   Der erste für den Ostern wird, das ist also dieser Schächer am Kreuz. Uns zeigt er, wie wir zu Jesus kommen. Wo der andere Übeltäter dann sein wird, wissen wir nicht. Das Neue Testament nennt als Ort der Verlorenheit die Hölle. Jesus schweigt zu denen, die ihn mit Spott überziehen, schweigt auch zum Schicksal seines spottenden Mitgekreuzigten. Sicher kann nur der Schächer sein, der Schuld eingesteht, der Jesus anspricht und ihm vertraut.
   Und dann wird es finster. Hat bisher das Sehen und das Zuschauen, vielleicht auch das Gaffen die Szene bestimmt, so senkt sich nun Finsternis über das Geschehen.(3 S.250) Eine Finsternis als Ende allen Sehens. Finsternis, die zugleich ans Licht bringt, was hier geschieht, denn von denen, die dabeistehen und mittun, von ihnen heißt es ja: „sie wissen nicht was sie tun.“ Schon dieser Satz verdiente eine eigene Predigt. Doch Lukas beschreibt hier die nächste Wende:
   Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei. Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er. Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser Mensch ist ein Gerechter gewesen!
   Mit dem Abendgebet eines frommen Juden,(2) übergibt Jesus dem Vater - der hier nicht eingegriffen hat(!) - seinen Geist; legt sein Leben zurück in Gottes Hand; muss es nicht selbst festhalten und verteidigen, sondern weiß es bei ihm aufgehoben.
   Diese Art zu Sterben lässt den römischen Hauptmann staunen. Ja er „pries Gott“ - ja, ich musste zweimal lesen, aber es steht so da: "Als der Hauptmann sah, was geschah, pries er Gott." Er, der gerade noch die Hinrichtung überwacht hat, kommt zu dem Schluss: Fürwahr, dieser Mensch ist ein Gerechter gewesen. Mit anderen Worten, die Hinrichtung war falsch! Übeltäter sollen dadurch ihre gerechte Strafe empfangen, ja, aber doch nicht der Gerechte. Das Urteil der Hohenpriester, das Urteil des Pilatus, die Aussagen der Spottenden streicht der Hauptmann mit diesem Satz durch: Hier am Kreuz stirbt ein Gerechter. Damit hat nun aber auch alles Rechnen ein Ende.(3) Wenn ein Gerechter als Verurteilter sterben kann, dann können auch rechmäßig Verurteilte, wie der Schächer, wie ich, leben. Am Kreuz stirbt so auch das Bild eines Buchhaltergottes, der jedem nach seinen Taten zuteilt.(3) Hier im Tod des Gerechten öffnet sich der Weg zur Gnade für die, die sich vertrauend an Christus wenden: Gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst.
   Und schließlich verändert dieses Geschehen auch das Volk, das zuschaute: Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um. Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.
  
Sich an die Brust zu schlagen, das ist nicht nur ein Zeichen der Trauer, sondern der Reue. Im Gleichnis vom selbstgerechten Pharisäer und Zöllner heißt es: Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus. (Lk 18,13-14)
  
Wenn wir das auf das Volk übertragen, heißt das: Aus Zuschauern, ja aus Schaulustigen, sind Betroffene geworden. Die Distanz ist aufgehoben. Was äußerlich geschah, hat sich in ihr Herz gesenkt. Sie bereuen, sie kehren zurück in die Stadt, und zwar anders als sie gekommen sind. So gehen nicht alle, aber viele verändert, ja gerettet vom Kreuz: Der Schächer, der Hauptmann, das Volk, und – wenn wir uns anrühren lassen – auch du und ich.
   Und, liebe Gemeinde, wenn schon der Tod Jesu so heilbringende Wirkung hat, wie wird es da erst mit seiner Auferstehung sein? Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte. Davon hören wir zu Ostern.
   Amen.

Verwendete Literatur:
(1) Alexander Deeg, Predigt zu Lk 23,32-49 zum Karfreitag 2005, in: M.Nicol/A.Deeg, Im Wechselschritt zur Kanzel. Praxisbuch Dramaturgische Homiletik, 2005, S. 86. (2) Wolfgang Wiefel, Das Evangelium nach Lukas, ThHKNT 3, 1988, S. 396-400. (3) Kristin Jahn, Vorhang auf die die Gnade, in: Göttinger Predigtmeditationen, 76. Jahrgang, Heft 2 (247-252).

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