Gott, du hast uns geprüft und geläutert, wie das Silber geläutert wird. (Psalm 66,10)


Geborgen sein, wenngleich die Welt unterginge

Predigt am Reformationstag, 31.10.2022 über Psalm 46
anlässlich der Indienstnahme des neuen Geläutes in der Kirche Waltersdorf
Von Pfr. Gerd Krumbiegel

Liebe Gemeinde,
was für ein schöner Montag ist das heute! Manchmal geht es mir noch so, dass ich mich innerlich etwas wachschütteln muss um zu fassen, dass es wirklich wahr ist, dass wir heute die neuen Glocken zum ersten Mal hören.
   Ich erinnere mich noch 2019 an die 600 Jahrfeier, da stand schon fest, dass unsere Glocken mehr als sanierungsbedürftig sind und da haben wir halb im Scherz gesagt: Na dann können wir doch 2029, wenn der Bau des Kirchturms sich zum 300. Mal jährt, gleich auch die Glocken erneuern.
   Es kam anders, und anders als so oft, schneller.

Das hatte zum einen mit der baulichen Notwendigkeit im Turm zu tun, das hatte aber auch damit zu tun, dass Spenden Einzelner und Vieler eingingen und eine Erneuerung der Glocken auf einmal tatsächlich möglich erschien.
   Heute ist es nun soweit. Was für ein schöner Montag! Auch in diesem warmen Sonnen­schein heute Morgen erblicke ich Gottes Segen an diesem Reformationstag und das ist gar nicht selbstverständlich. Denn wer dabei war, als heute vor 32 Jahren der Kirchen­knopf nach der Erneuerung des Kupfer­daches aufgesetzt wurde, der weiß, vor 32 Jahren am Reformationstag, da gab es Eisregen.
   Heute also ein Tag voller Sonne und Anlass zur Freude. Und dazu kommt uns heute ein Bibeltext nahe, der beides kennt, den Eisregen geschichtlicher Katastrophen und die Sonne eines dennoch fröhlichen Gemütes. Wir hören Psalm 46, den wir im Lutherlied zu Anfang teils schon gesungen haben:
   Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. 3 Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, 4 wenngleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen. 5 Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. 6 Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie fest bleiben; Gott hilft ihr früh am Morgen. 7 Die Völker müssen verzagen und die Königreiche fallen, das Erdreich muss vergehen, wenn er sich hören lässt. 8 Der HERR Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz. 9 Kommt her und schauet die Werke des HERRN, der auf Erden solch ein Zerstören anrichtet, 10 der den Kriegen ein Ende macht in aller Welt, der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt. 11 Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin! Ich will der Höchste sein unter den Völkern, ich will der Höchste sein auf Erden. 12 Der HERR Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz.

Liebe Gemeinde,
was für ein Psalm, was für Worte! Die größte Gefahr liegt für mich wohl darin, diese kräftigen Worte abzuschwächen, ganz einfach dadurch, dass die eigenen Worte nicht heranreichen können an das, was hier gesagt ist. Ich möchte deshalb eine Übertragung, eine Meditation zu diesem Psalm an den Anfang stellen:

„Gott ist wie eine feste Burg,
er gibt uns Zuversicht und Stärke
in den Nöten, die uns getroffen haben.
Selbst wenn die Welt aus den Fugen gerät,
selbst wenn die Berge zerfallen oder das Meer die Küsten unterspült,
selbst dann stehen wir nicht vor dem Abgrund des Todes.
Wir müssen uns nicht vor der Gefahr fürchten.
Gott ist bei uns und lässt uns nicht untergehen.
Gott hilft uns am Morgen und am Abend.
Der, der den Erdkreis regiert,
und Königreichen wie auch Staaten ein Ende setzt,
der ist sich nicht zu schade, bei uns zu sein.
Er, der die Gewehre der Krieger zerbricht
und ihre Panzer mit Feuer verbrennt,
er ist unser Schutz und unser Schild,
eine Burg, in der wir sicher wohnen.“
(Stephan Goldberg, aus: Ders. „Denn du bist unser Gott“, 2019², S. 312; leicht bearbeitet)

Welche Zuversicht klingt aus diesem Psalm. Und das ist keine billige Zuversicht, an den Nöten und Krisen vorbei, sondern ein Vertrauen „in  allen Nöten, die uns getroffen haben“. Anders als in unserer Zeit, wo die Schreckensmeldungen eine Konzentration und Sogkraft entwickeln, dass sie uns in den Strudel des Pessimismus zu reißen drohen; anders als in unseren Tagen hat der Beter des Psalms in seinen Nöten einen Ruhepunkt und einen Halt gefunden.
   Was wäre uns nicht schon geholfen, wenn wir angesichts von Kriegen und Krisen sagen könnten: Gott hat geholfen und darum wird er auch weiterhin helfen. „Und wenn die Welt voll Teufel wär…“ hat Luther im Lied gedichtet und in der Realität sein Tintenfass auf der Wartburg nach dem Durcheinanderbringer geworfen. Was wäre nicht schon gewonnen, wenn wir in dem, was uns umdrängt, aufsehen könnten und uns in Gott bergen könnten, wie der Psalmbeter; wenn wir in sein Dennoch einstimmen könnten: „Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben, denn Gott ist bei ihr drinnen.“ Das ist kein Selbstvertrauen nach der Art einer Machbarkeitsstudie und politischen Programmen, diese Gewissheit wächst aus einer tiefen, möglicherweise zunächst enttäuschenden, zuletzt aber entlastenden Einsicht, die Luther so auf den Punkt brachte: „Mit unsrer Macht ins nichts getan, wir sind gar bald verloren.“ Das Eingeständnis keine Lösung zu haben, wäre der erste Schritt aus dem Zirkel von Scheinlösungen heraus; aus einem Kreislauf, der mit Abermilliarden Euro stets nur an den Symptomen ansetzt ohne aber die wirkliche Ursache der Probleme anzugehen.
   Was wäre nicht gewonnen, wenn wir Zugang hätten zu der Einsicht, dass unsere Macht und Einflussmöglichkeiten viel geringer sind, als wir meinen. Könnten wir nicht einen neuen Mut gewinnen uns einzusetzen? Eben weil nicht alles an uns hinge, wäre auch die Angst, die unsere Hände zittern macht, und unser Tun womöglich scheitern lässt, besiegt.
  Was wäre, wenn wir angesichts der vielbeschworenen Unentrinnbarkeit der Klimakrise sagen könnten: Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. 3 Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, 4 wenngleich das Meer wütete und wallte. Nicht Angst sollte unsere Handeln leiten, sondern die Freude an der Schöpfung; nicht Furcht sollte uns gängeln, eine Furcht, die stets das Einfallstor für neue Speise­gebote und gegenseitige Sozialkontrolle ist. Nicht das Vertrauen in die trügerische Stärke der eigenen Möglichkeiten sollte vornan stehen, sondern die Zuversicht, dass Gott mit dieser Welt und darum auch mit dir und mir an sein Ziel kommt: „Gott ist unsere Zuversicht und Hilfe und unser Schutz in den Nöten, die uns getroffen haben. Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben. Gott ist bei ihr drinnen.“
  „Das hebräische Wort, das Luther mit Schutz übersetzt ist, bedeutet einen hohen, unzugänglichen Ort, wo man sicher ist. Ähnlich wie das Wort für Zuversicht. Es meint auch einen Ort, nämlich den, wo man sich versteckt, den Zufluchtsort.“(1) Wir suchen unser Heil heute mehr und mehr im Rückzug, wir müssen, um seelisch gesund zu bleiben, vieles ausblenden, was da an Meldungen und Problemen auf uns niederprasselt. Dabei ahnen wir, dass sich die Dinge dadurch nicht bessern. Doch weil zu stark ist, was da anbrandet, suchen wir Zuflucht im privaten Rückzugsort.
  Der Psalmbeter findet seine Zuversicht aber nicht im Idyll seines schönen Oberlausitzer Gärtchens, sondern sein Zufluchtsort ist nichts Geringeres als Gott selbst. Denn wenngleich die Welt unterginge, wo könnte dann noch Zuflucht sein als bei IHM? – Ja, und wie komme ich in diesen Schutz, in diese Sicherheit? Auf der Suche nach Antwort begegnet uns hier die frohe Botschaft, nämlich dass diese Geborgenheit eben kein unerreichbar ferner Ort ist. Wir müssen nicht in die Ferne laufen, uns nicht auf Vorratskammern hocken, wir brauchen keinen passwortgesicherten Zugang hinter eine strahlensichere Tür. Die Antwort im Psalm, wo wir Schutz und Geborgenheit finden, ist atemberaubend: „Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. Denn Gott ist bei ihr drinnen…“
  Der Herr Zebaoth ist mit uns, er ist bei ihr drinnen, mitten in der Stadt, er ist bei uns drinnen im Dorf und er will drinnen sein bei uns ganz persönlich, in dem worauf wir von Grund auf vertrauen: in unserem Herzen. Darum wird die Stadt festbleiben, und das gilt auch von dem Gemüt; ein Gemüt, das sich IHM öffnet, wird fest bleiben, von einem solchen Gemüt gilt: Dennoch soll die Stadt Gottes, dennoch soll die Stätte eines Herzens, das sich auf ihn verlässt, fein lustig bleiben, wenngleich die Welt unterginge. Dass es eine solche Geborgenheit gibt, dafür steht diese Kirche mit ihren Mauern und mit ihrem Altar, dafür steht diese Kirche mit ihrer Orgel und mit ihren Glocken, dafür dass es eine solche Geborgenheit gibt, dafür steht diese Kirche mit ihrer Gemeinschaft und ihren Menschen, die Erfahrungen mit Gott gemacht haben und sie auch weitergeben und sich gegenseitig tragen. Wo wir so Glauben und Hoffnung teilen, gilt: „Gott ist bei ihr drinnen…“
  Ich erspare uns jetzt, was die Mächtigen des letzten Jahrhunderts aus dem „Gott mit uns“ gemacht hat. Das ist uns noch heute im Bewusstsein. Doch ist Gott eben nur so lange mit uns, wie wir auch mit ihm und auf seinem Weg sind; Krieg gehört dazu freilich nicht! Und wer das Heil nur noch in Waffenlieferungen sucht, dem sagt Psalm 46: „Gott ist es, der den Kriegen entgegensteuert, der Bogen zerbricht und Spieße zerschlägt, der Wagen mit Feuer verbrennt.“ – Und das tut er unabhängig davon, ob dieses Kriegsgerät aus einem Sondervermögen stammt.
  Der Psalm endet freilich nicht im Kriegslärm sondern in der Stille. „Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin.“ Wie überhaupt Wichtiges oft erst dann möglich wird, wenn wir Menschen das Heft aus der Hand legen und dann das an uns geschehen lassen, was wir selbst nicht zuwege bringen, indem wir uns seiner Gnade öffnen. Ein wunderschönes Bild dafür ist der Glockenklang, den oft nur der hört, der innehält in seinem Tun und sich in seinen Gedanken unterbrechen lässt, der die Fenster seiner Wohnung und wie die Fenster seiner Seele öffnet, um zu hören, welche große Einladung und Hoffnung ihm gilt. So heißt es am Ende des Psalmes: „Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin.“ – Wenn er Gott ist, können wir mit der Selbstüber­forderung aufhören, wir können endlich aufhören, selbst Übermensch­liches leisten zu wollen. Denn der Mensch heißt Mensch, weil er irrt und weil er kämpft, weil er hofft und liebt, weil er mitfühlt und vergibt. (Herbert Grönemeyer, aus dem Liedtext: „Mensch“)„Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin. Ich will der Höchste sein unter den Heiden, der Höchste auf Erden.“

    Wird Gott hier am Ende unsympathisch? Hat er es letztlich doch nur auf seine eigene Größe abgesehen? Es war Martin Luthers Verdienst eine hier verborgene Wahrheit neu zum Leuchten gebracht zu haben. Dazu ein Ausflug ins Neue Testament, und ich kann Sie beruhigen, dieser Ausflug ist von nahezu krimineller Kürze: Jesus sagt im Johannes­evangelium etwas im Blick auf sein Leiden und Sterben am Kreuz, das uns unverständlich bleiben müsste, hätten wir nicht Psalm 46. Jesus sagt im Blick auf das Kreuz: „Wenn ich erhöht werde von der Erde, will ich alle zu mir ziehen.“ (Joh. 12,32) Das Kreuz ist als Erhö­h­ung verstanden. Jesus wird der Aller­höchste, indem er am allertiefsten hinabsteigt in unser Elend. „Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin. Ich will der Höchste sein unter den Heiden, der Höchste auf Erden.“ Seine Hoheit besteht nicht in einer herablassenden Über­hebung, sondern in einer Hinaufhebung aller, die sich ihm anvertrauen, hin zu Gott.(2) Davon zeugt heute und hinfort der Klang der Glo­cken, der unsere Gedanken für den Moment losreißt von den Mühen der Erde und zu Gott trägt, dem Ort unserer letzten Geborgenheit. So wie wir es gleich singen wollen: „Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut, dem Vater aller Güte, dem Gott, der alle Wunder tu, dem Gott, der mein Gemüte mit seinem reichen Trost erfüllt, dem Gott, der allen Jammer stillt. Gebt unserm Gott die Ehre.“ (Johann Jakob Schütz, EG 326,1)
Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir für möglich halten, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

(1) Rudolf Smend, Darum fürchten wir uns nicht, in: Ders: Altes Testament christlich gepredigt, S. 99f.
(2) Ein Gedanke aus der gleichen Predigt Rudolf Smends über Psalm 46 in Göttingen 1981: „Dieses Gottes höchste Höhe bestand darin, daß er in die Niedrigkeit ging, in die tiefste Tiefe, in den Stall von Bethlehem und an das Kreuz von Golgatha.“ (AaO., S. 101.)

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Kirchstraße 13, 02791 Niederoderwitz
Tel.: 0162 573 9970
Mail: Christin.Jaeger@evlks.de

 
Öffnungszeiten des Pfarramtes
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Waltersdorf Dorfstraße 75: Mittwoch 14.30 – 16.30 Uhr

Friedhofsangelegenheiten Hainewalde: Herr Andreas Großer Montags 15.00-17.00 Uhr im Hospital, am Kirchberg 6, in Hainewalde

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