Der HERR wird den Armen nicht für immer vergessen; die Hoffnung der Elenden wird nicht verloren sein ewiglich. (Psalm 9,19)


Worauf schauen wir? Auf die nächste Welle oder auf Christus?

Predigt am 6.2.2022 über Matthäus 14,22-33 - von Pfr. Gerd Krumbiegel

Liebe Gemeinde,
Wir haben den Predigttext schon als Evangeliumslesung gehört, hier noch einmal ein Wort daraus: „Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin´s; fürchtet euch nicht.“ Der Herr segne an uns sein Wort. Amen.
   Was für eine packende Geschichte! Man weiß gar nicht, auf welches Detail man zuerst schauen soll. Was aber nach und nach unseren Blick am meisten auf sich lenkt, das ist das Wunder, dass Jesus hier übers Wasser geht. Und das schiebt sich so sehr als inneres Bild in unsere Vorstellung, dass es fast schon zum Hindernis werden kann; die Faszination wie das wohl möglich ist, lenkt unseren Blick damit ab von dem, was uns die Geschichte eigentlich sagen will. Und so haben es viele unternommen, dieses Wunder zu erklären, sei es durch schwimmende Holzbalken, auf denen Jesus sich bewegt habe, oder eine optische Täuschung der Jünger, denn Jesus sei in Wirklichkeit am Rand des Ufers gelaufen(1, S.152). Und jüngst der Ozeanologe Doron Nof von der Universität Miami, der meint, in der Zeit zwischen dem Jahr 600 vor Christus und 500 nach Christus haben am See Genezareth besonders harte klimatische Bedingungen geherrscht. Teile des Sees Genezareth seien damals mit einer Eisschicht zugefroren gewesen, die einen Menschen tragen konn­ten; Jesus wäre demnach auf einer Eisscholle unterwegs gewesen.(2)

Liebe Gemeinde,
da sind ja gleich zwei Themen, die sich anbieten: Einmal der Wunsch, das Rätselhafte an diesem Wunder aufzuklären und dann noch das besonders aktuelle Thema des Klimawandels. Wir aber lassen beide thematischen Sprungbretter aus, weil sie ja doch nichts bringen als wortgewandte Flugeinlagen mit dem Risiko eines inhaltlichen Bauchklatschers. Und weil auch der Seewandel selbst gar nicht im Mittelpunkt steht; denn schon in der Geschichte selbst zeigt sich, dass dieser keinen Glauben erzeugt, sondern eher das Gegenteil: Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. Im Griechischen steht hier für Gespenst das Wort „Phantasma“ und durch diese phantastische Erscheinung wird die Not sogar erst einmal noch größer. Wir gehen darum an diesen verlockenden Sprungbrettern vorbei, und weiter am Ufer des Sees Genezareth entlang und schieben stattdessen mit den Jüngern das Boot ins Wasser. Und wir fragen, welche Erfahrungen sie dabei machen.
    Und alsbald drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe. Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein.
  Jesus erscheint hier ungewohnt menschlich. Nach der Speisung der 5000 scheint er erst einmal genug von Trubel und Menschen­massen zu haben. Er entlässt das Volk und er treibt seine Jünger ins Boot zu steigen und ohne ihn abzufahren. Offenbar kennt er das Bedürfnis, allein zu sein.(3) Und Jesus geht auf den Berg, den Ort der Gottesbegegnung. Jesus geht nicht in seiner Arbeit auf, er ist sozusagen das Gegenbild eines „Managers“. Ehe er zu den Menschen spricht, hat er alles mit seinem Vater besprochen. Darum ist die Luft der Ewigkeit um ihn, während um uns die Luft oftmals dünn und flüchtig wird. Denn wir denken ja oft umgekehrt: Erst muss ich jene Terminarbeit noch schaffen und meine alltäglichen Erledigungen ordnen und wenn ich sozusagen meine Realität besorgt habe, dann kann ich mich dem religiösen Thema zuwenden.(4, S.80) Bei Jesus ist es andersherum. Bei ihm bekommt die Gottesbegegnung Priorität und Vorrang und alles andere ordnet sich dem unter. Daraus gewinnt er seine Vollmacht und Verbindung zu Gott.
  Und aus dieser Haltung entsteht ein Gegensatz am Anfang unserer Geschichte: Während wir Jesus in Ruhe und zurück­gezogen auf dem Gottesberg sehen, da sehen wir die Jünger je länger je mehr angestrengt um ihr Leben rudern.(3) Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen. Die Jünger haben Gegenwind und das Boot, die paar Planken zwischen Zeit und Ewigkeit, es wird von den Wellen malträtiert. Das Wort, das hier im Griechischen steht, kann auch für das Foltern eines Menschen verwendet werden.(5, S.88) Und mit einem Mal wird klar, welche Erfahrung sich in dieser Geschichte widerspiegelt: Es ist die Erfahrung nach Ostern: Jesus ist auferstanden, aber er ist nun nicht mehr leibhaftig zum Anfassen bei seinen Jüngern.(5, S.92) Sie sind auf sich gestellt und bekommen es als neue Glaubens­gemein­schaft mit dem Gegenwind des römischen Reiches zu tun, ja auch mit Misshandlung und Folter. Die Jünger müssen sich scheinbar ganz allein über Wasser halten; sie drohen unterzugehen, weil ihnen eine Macht gegenübersteht, die weitaus stärker ist. Und da gab es mehrere Verfolgungswellen, die erste Welle, die zweite Welle und noch eine und noch eine; Wellenberge wie eine Wand und diese Nacht will kein Ende nehmen. – Kommt uns das bekannt vor?
  Der eigene Glaube ist in dieser stürmischen Zeit womöglich ein unsicheres Fundament. Mit jeder Welle, die anrollt, wird er mehr erschüttert und wird untergespült und ausgehöhlt zum Kleinglauben. Die Jünger im windge­peitschten Boot kämpfen mit Angst und Seekrankheit, sie leben in diesem Augenblick kaum davon, dass Gott in ihren Gedanken wäre. Nein, sie leben von etwas anderem, „sie leben davon, dass Jesus Christus an sie denkt und dass die Stille, die sein Gespräch mit dem Vater umfängt, erfüllt ist von den Gedanken an die Seinen.“(4, S.82) Sie leben davon, dass er schon auf dem Weg ist, ihnen beizustehen. Es mag also sein, dass in der Krise der Griff unseres Glaubens, mit dem wir unseren Herrn festhalten, dass dieser Griff sich lockert, doch der, an den wir glauben, der hält uns mit seinem Griff fest.(4, S.82) Und das ist der Trost in dieser Geschichte: Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht! Der Trost besteht darin, dass Jesus da ist, auch wenn unser Glaube schwankt. Es kommt die 4. Nachtwache, die Zeit von ca. 4.00–6.00 Uhr früh, das Morgengrauen, die Zeit also als die Frauen den Stein weggewälzt und das Grab leer fanden, und da ist Jesus plötzlich da.(5, S.88) Und die Ursache für den Glauben wie für die Beruhigung ist hier eben nicht das Wunder, dass Jesus auf dem Wasser geht, – und so gleichsam die Wellen des römischen Reiches unter seine Füße tritt –; Glaube entsteht allein an dem Wort Jesu: Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht! Wir erkennen ihn immer nur an seiner Stimme, an seinem Wort, mit dem er uns sagt: „Habt keine Angst, ich bin es!“ Wo wir diesen Zuspruch inmitten der Verwirrung hören, da spüren wir, dass da jemand ist, der stärker ist als die bedrängenden Elemente.(4, S.83)
   Wir suchen heute wieder mehr als die Menschen vor uns nach Evidenz, nach klar auf der Hand liegenden Gewissheiten und Eindeutigkeiten, gerade angesichts aller gegenteiligen Deutungen unserer Gegenwart. Doch der Sucht nach Evidenz, nach Sichtbarkeit, setzt Jesus die Einladung zum Vertrauen entgegen, und zwar das Vertrauen, das auch in den Leiden dieser Zeit den Zuspruch hört: „Seid getrost, habt Mut, habt Vertrauen, ich bin da, fürchtet euch nicht.“
  Und nun folgt das große Glaubens­experiment. Petrus ist von diesem Moment so fasziniert, mit Blick auf Jesus ist sein Vertrauen so groß, dass er sieht und weiß, wenn das Wasser meinen Herrn trägt, dann auch mich. Und Jesus klopft Petrus nicht auf die Finger, sondern er lässt es ihn wagen und zunächst geht es auch gut: Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. 29 Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu.
  Man kann in dieser Szene drei Erfahrungen finden(5, S.90) und beide sind gleichermaßen heilsam: Da ist die erste Erfahrung: Durch das Vertrauen auf Jesus kann Petrus zunächst tatsächlich auf dem Wasser gehen; hierin steckt die Erfahrung, dass Glaube trägt. Hier wird uns Mut gemacht zu einem Glauben, der etwas wagt, der sich nicht ständig in theologischer Bedenkenträgerei übt, bis am Ende nur noch ein schwacher Abzug dessen da ist, was man von Gott erwarten darf. Denn „Wer allzusehr überlegt, wie weit er mit seinem Beten gehen darf, der traut Gott am Ende gar nichts mehr zu.“(4, S.85)
    Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich!
   Und das ist die andere Erfahrung, die des Versagens. An Petrus wird die Gefahr sichtbar, die Kleinglaube und Zweifel mit sich bringen, und diese Gefahr hat eine eindeutige Ursache: Als Petrus aber den starken Wind sah Petrus verliert Jesus aus den Augen. Hier wird deutlich, dass der Glaube im Grunde gar nichts anderes ist als eine bestimmte Blickrichtung.(4, S. 86) Und Kleinglaube beginnt damit, von Christus wegzuschauen. So auch bei Petrus: Mit einem Mal stellt die nächste Welle, die sich auftürmt, alles in den Schatten. Das Bild seines Herrn verschwindet ihm angesichts der Wellenwand; so ist das mit den Evidenzen dieser Welt. Wenn ich auf all das blicke, was so an bedrohlichen Möglichkeiten vor mir liegt oder vielleicht noch kommen könnte, dann saugt mich der Strudel der Angst ein, sie droht zu einem Malstrom zu werden, der mich verschluckt. Vergessen ist dann das Wort: „Seid getrost, habt Mut, habt Vertrauen, ich bin da, fürchtet euch nicht.“
  Doch hier greift die dritte Erfahrung: Selbst wenn Petrus im Kleinglauben zu Versinken droht, so ist Jesus doch da. „Herr, hilf mir!“, das ist alles, was Petrus noch rausbringt. „Hätte es damals das Apostolische Glaubensbekennntnis schon gegeben, Petrus hätte es nicht mehr zusammengebracht.“(4, S.87) Er konnte gerade noch „Hilfe!“ schreien und die Adresse für diesen Schrei: „Herr!“. Dieses Minimum, dieser kümmerliche Rest der Glaubensstärke von eben reicht für Jesus um zu helfen: Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?
   Ist das womöglich ein Satz, den wir uns wieder sagen werden, wenn die Pandemie abgeebbt sein wird? Du Kleingläubiger, warum/wozu hast du gezweifelt?
   Der Fall des Petrus, der hier stellvertretend für alle Jünger steht, zeigt: Der Glaube entbindet uns nicht von Schmerzen und Ängsten; er entnimmt uns nicht diesen menschlichen Grunderfahrungen.(4, S.88) Doch wir haben mit dem Glauben eine andere Blickrichtung, brauchen uns nicht hypnotisieren zu lassen von den abgründigen Möglichkeiten dieser Welt.
   Ja, es stimmt: „Wir wissen nicht, welche Nöte in diesem Jahr und in den kommenden noch nach uns greifen, aber eines wissen wir auf jeden Fall: Auch diese Hand, die Hand Jesu Christi, greift nach uns und hält uns.“(4, S.88) Das ist die Botschaft dieser Geschichte, dass Jesus sich längst auf den Weg gemacht hat und da ist, wenn wir ins Rudern kommen, wenn uns der Wind entgegensteht; das ist die Botschaft dieser Geschichte, dass Gott größer ist als dein Herz und dir treu bleibt, wenn du in den Stürmen der Zeit an ihm irre wirst. Es genügt der Ruf des Vertrauens: „Herr, hilf mir! Ich will es wagen, mich an dich zu halten, auch wenn alles um mich schwankt, Herr, hilf mir.“Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!
   Auf diese Blickrichtung kommt es an, dass wir in dem, was kommen mag, nicht auf die Abgründe und Ängste schauen, sondern auf unseren Herrn. In diese Blickrichtung möchten wir uns einüben mit dem nächsten Lied: „Nun aufwärts froh den Blick gewandt und vorwärts fest den Schritt, wir gehen an unsres Meisters Hand und unser Herr geht mit.“ (EG 394)
   Amen.

Verwendete Literatur: (1) Barbara Hauck, Zwischen Geisterstunde und Gottesnähe, in: Göttinger Predigtmeditationen, 76. Jahrgang, Heft 1, S. 151-156. (2) https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/wunder-leicht-erklaert-lief-nicht-mal-jesus-uebers-wasser-1330710.html FAZ vom April 2006, Abrufdatum 6.2.2022. (3) Stephan Goldschmidt, Die Seele zum Klingen bringen. Zur Predigtreihe IV, S. 49. (4) Helmut Thielicke, Wie es zu Krisen des Glaubens kommt, in: Ders., Und wenn Gott wäre… Reden über die Frage nach Gott, S. 74–88. (5) Reinhard von Bendemann, Im Zweifel gehalten: Mt 14,22–33, in: Bendemann/Offermann, Bist du es? Exegesen, Anregungen und Bibelarbeiten zum Matthäusevangelium, S. 85–92.

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