Der HERR wird den Armen nicht für immer vergessen; die Hoffnung der Elenden wird nicht verloren sein ewiglich. (Psalm 9,19)


Kleine Kraft und trotzdem stark

Predigt über Offenbarung 3,7–13 am zweiten Advent 2023
von Pfr. Gerd Krumbiegel

Liebe Gemeinde,
es ist zweiter Advent und die Konturen von Weihnachten werden deutlicher. Vieles beschäftigt uns in diesen Tagen; manches, was so gar nicht zum erwarteten Fest passt, anderes, was unmittelbar damit zu tun hat. Wie auch immer jeder einzelne Tag im Advent verläuft, er bringt uns Weihnachten näher. Ein wenig mag man sich das von der Unbeirrbarkeit der Kinder abschauen: Was auch immer auf dem Programm für den Tag steht, was auch immer durch die Nachrichten und sozialen Kanäle flimmert, als erstes am Tag wird die Tür am Adventskalender aufgemacht. Was für ein Bild: Jeder Tag beginnt mit einer offenen Tür! Wie wohltuend ist das in einer Welt, die im Wandel ist; wo gewohnte Wege plötzlich die Richtung ändern oder auch ganz abbrechen; wo Türen der Verständigung und des Friedens hinter schweren Riegeln zufallen. Insofern passt unser heutiger Predigttext wunderbar in den Advent. Denn auch hier stehen die Türen offen:

Und dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: Das sagt der Heilige, der Wahrhaf­tige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, und der zuschließt, und niemand tut auf: 8 Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, die niemand zuschließen kann; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet. 9 Siehe, ich werde einige schicken aus der Versammlung des Satans, die sagen, sie seien Juden, und sind’s nicht, sondern lügen. Siehe, ich will sie dazu bringen, dass sie kommen sollen und zu deinen Füßen niederfallen und erkennen, dass ich dich geliebt habe. 10 Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die auf Erden wohnen. 11 Ich komme bald; halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme! 12 Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen der Stadt meines Gottes, des neuen Jerusalem, das vom Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen. 13 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Es ist ein sprach- und bildgewaltiger Abschnitt. Wir  hören vom Schlüssel Davids, von einer Tür, die niemand zuschließen kann; wir hören aber auch von der Synagoge Satans und der Stunde der Versuchung des ganzen Erdkreises; wir hören von der Krone auf dem Haupt und dem Pfeiler des Tempels; am Ende dann die neue Stadt und der neue Name.
   Wo fangen wir da an? – Am besten vorne! Und dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: Was für eine Vorstellung, dass nicht nur jeder Mensch einen Schutzengel hat, sondern auch jede Gemeinde.(1, S.14f) Und dieser Engel macht seinem Namen alle Ehre: Angelos, Bote, er kommt mit einer Botschaft. Wer Ohren hat zu hören, der höre!
  
Philadelphia in der heutigen Westtürkei gelegen, ist eine der sieben Städte, die eine Botschaft vom Auferstandenen erhalten. Und Philadelphia ist neben Smyrna die einzige Gemeinde, die nicht getadelt, sondern gelobt wird; und Philadelphia ist neben Smyrna die einzige Stadt der sieben Sendschreiben, die es heute noch gibt. Außer diesen beiden sind alle anderen fünf Städte zerstört.(2, S.136) Wie hieß es doch im Text: „Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren.“ – Wenn wir als christliche Gemeinde ebenso durch die Zeiten hindurch bewahrt werden wollen, sollte uns also sehr interessieren, was Philadel­phia getan und wie die Gemeinde dort gelebt hat.
   Und wer spricht hier? Das sagt der Heilige, der Wahrhaf­tige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, und der zuschließt, und niemand tut auf. Jesus, der Auferstandene, der hier spricht, wird noch einmal näher charakterisiert. „Der Heilige“. In unserem Sprachgebrauch heißt heilig lediglich, dass dies oder jenes mir wichtig ist. Wenn also Uroma Irma zum Urenkel sagt, bitte stell die Vase wieder in die Vitrine, denn die ist mir heilig.(3, S.47) In der Bibel ist mit "heilig" eine Qualität benannt. Heilig ist, was Gott gehört oder zu Gott gehört. „Der Heilige“ ist dann auch ein Name für Gott selbst und seine Heiligkeit ist im guten Sinne ansteckend.(4, S.242) Und wir Christen sind nicht deshalb heilig, weil wir bessere Menschen wären als andere, sondern weil wir zu Gott gehören. Unser Bürgerrecht ist im Himmel.(Phil. 3,20) Hier also spricht Gott zu den Seinen in Philadelphia und heute hier zu uns. Und er ist der "Wahrhaftige". In einer Zeit, in der Falschmeldungen von echten Meldungen kaum oder gar nicht mehr zu unterscheiden sind, meldet sich hier der zu Wort, auf dessen Wort wir uns verlassen können. Das Wort „wahr“ hat im Griechischen auch die Bedeutung von „echt“ und „wirklich“(2, S.136). Wer in Christus die Wahrheit sucht und findet, der wird auch die Wirklichkeit um sich herum anders sehen und einschätzen können.
   Und schließlich ist vom "Schlüssel Davids" die Rede. Der Schlüssel ist immer ein Symbol für Autorität.(2, S.137) Wenn dir jemand sagt, dass er in einem großen Unternehmen einen wichtigen Posten innehat, und du wissen willst, wie wichtig er dort wirklich ist, dann fragst du ihn, zu welchen Türen und Bereichen er dort Zugang hat. Wenn er nur bis in die 4. Etage des 10-stöckigen Firmengebäudes kommt, dann gibt es offenbar noch Menschen in Postionen über ihm.  - Der Schlüssel Davids steht hier für Jesus selbst. Er aus der Linie Davids kommend schließt eine Tür auf oder zu und niemand kann daran etwas ändern. Philadelphia wusste, wie das mit einer Schlüsselstellung ist. Philadelphia lag an einer wichtigen Post- und Handelsstraße. Wer von der Küste ins Landesinnere wollte mit Nachrichten oder Waren, für den war Philadelphia das Tor ins Zentrum der Provinz Asia.(2, S.138) Geht es bei Verkehrsstraßen um Handel und Wandel, so geht es hier um den Zugang zu einer geistlichen Wirklichkeit. Wenn Jesu zum Beispiel sagt: „Ich bin dir Tür, wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden.“(Joh 10,9) So ist gemeint, dass Jesus der Zugang zu Gott, dem Vater ist. Wer bei Gott ankommen möchte, für den ist das Kreuz mit Vergebung und Neuanfang der Weg dahin, der Weg in das Zentrum der Provinz, die wir Liebe Gottes nennen.
   Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, die niemand zuschließen kann; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet. Welche Werke mögen die Christen in Philadelphia zuwege gebracht haben? In wenigen Worten wird es angedeutet: Du hast mein Wort bewahrt und meinen Namen nicht verleugnet. Wie leicht wäre beides gewesen! Sich von der biblischen Botschaft, die damals als einfältig und einfach galt, sich lieber den griechisch-römischen Philosophen zuzuwenden oder auch der damals modernen Erbauungsliteratur. Wie einfach wäre das gewesen, sich vor einer Kaiserstatue niederzuwerfen, ohne es innerlich so zu meinen.(5, S.37) Die Christen in Philadelphia wählten einen anderen Weg. Sie bewahrten das Wort Jesu. Das Wort bewahren kann man auch mit "beachten" und "beobachten" übersetzen. Es geht darum, dieses Wort Gottes, die Bibel, nicht aus den Augen zu verlieren. Das empfinde ich als eine schmerzliche Anfrage an uns als Gemeinde, sowohl im Leben des Einzelnen als auch unserer Gemeinde: Welche Rolle spielt da zum Beispiel die Bibelstunde oder irgendein anderer Kreis, wo die Bibel im Zentrum der Aufmerksamkeit steht? Welche Rolle spielt die Botschaft der Bibel in meinem alltäglichen Tagesablauf? Wenn wir es den Christen in Philadelphia gleichtun wollen, wenn Gemeinde Bestand haben soll, müssen wir uns fragen, wie wir die Bibel wieder ins Zentrum rücken. Und den Namen Jesu nicht verleugnen, ihm treu sein auch im Bekennen, dafür gibt es heute mehr Wege als damals. Welche Türen sind uns da mit den modernen Mitteln aufgetan! Welche Freiheit ist uns geschenkt von dem zu reden, was dem eigenen Leben Hoffnung gibt. Stattdessen fallen wir nieder vor den Kaiserstatuen, die da heißen: Menschen­furcht, Angepasstheit, fromme Zurück­haltung, sich nicht aufdrängen wollen, Religion ist Privatsache... Wäre es nicht schön, es ginge uns wie Petrus und Johannes, die trotz Strafandrohung sagen: „Wir können´s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gehört und gesehen haben.“(Apg. 4,20)
  
Im Blick darauf, wie die Gemeinde der Zukunft aussehen kann, da fragen wir manchmal: Was braucht es/was brauchen wir, um als Gemeinde zukunftsfähig zu werden? Und da fällt einem schon so manches ein: Wir brauchen motivierte und gut ausgebildete Mitarbeiter, und wir brauchen Geld sie zu bezahlen; überhaupt brauchen wir Finanzmittel und eine funktionierende Verwaltung; wir brauchen optimierte Abläufe und ein wirtschaftliches System für unsere Mietwohnungen und Pachtflächen, und wir brauchen bestimmt auch eine neue Liturgie, neue Formate, anziehende Angebote und natürlich endlich die Trendwende vom Schrumpfen zum Wachsen. Heißt es nicht auch im Text: „Halte, was du hast!“ – Wenn wir denken, damit sei der Bestand unserer Gebäude oder Pachtkonten gemeint, dann haben wir Jesus gründlich falsch verstanden. Hier ist nicht vom Bestand der Häuser oder von Finanzen gesprochen, sondern von unserer geistlichen Kraft.
   Jesus sagt: „Ich kenne deine Werke. Du hast eine kleine Kraft.“ Und diese kleine Kraft, liebe Gemeinde, reicht! Das ist das Evangelium unseres Textes: Es geht nicht darum, ständig an der Belastungsgrenze zu arbeiten oder sich im Ehrenamt aufzureiben. Wie viel wäre schon gewonnen, wenn wir das nachsprechen könnten: Wir haben eine kleine Kraft, und die reicht. Und weil das so ist, setzen wir sie auch an der richtigen Stelle ein, und erwarten auch von unserem Krafteinsatz nicht unsere Rettung. Denn die ist Gottes Werk. Unsere Aufgabe und Ausrichtung lässt sich in den drei Wortgruppen finden: „du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet.“
  
Christliches Leben und Gemeindeaufbau sind im Grunde einfach, sie sind sicher nicht immer leicht, aber einfach.(6) Der Kern des christlichen Glaubens ist etwas Schlichtes, so schlicht, dass er schon im Herzen von Kindern Platz hat. Es geht um meine kleine Kraft, um sein Wort und die Treue zu ihm, die dann zugleich zu seiner Treue zu uns wird: „Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren.“ Das ist die Erfahrung, die über kurz oder lang alle machen, die sich mit Gottes Wort beschäftigen und darauf einlassen: Wenn du sein Wort hältst, hält es dann auch dich; wird dir zum Halt in einer Welt, die mit so vielen Türen und Fenstern klappert, dass wir gar nicht mehr wissen, welche der vielen Möglichkeiten jetzt gut für uns sind.
   Beeindruckt hat mich da die Geschichte des Ungarn Franz Jalics, der schon in jungen Jahren Jesuit wurde. "1974 entschied er sich, mit einem Mitbruder in einem Armenviertel in der Nähe von Buenos Aires zu leben. Als es 1976 in Argentinien zu einem Aufstand kam, wurde er zusammen mit seinem Mitbruder von paramilitärischen Gruppen verschleppt. Sie wurden 5 Monate gefangen gehalten und waren einer permanenten psychischen Folter ausgesetzt. Von 6000 Menschen, die von der Militärgruppe verschleppt wurden, überlebten nur er und sein Mitbruder. Das Franz Jalics und sein Mitbruder nicht an dieser Tortur zerbrochen sind, verdankten sie der betenden Wiederholung des Namens Jesu. »Tagaus, tagein«, so schreibt er, »blieben wir bei diesem schlichten Gebet.«“(6, S.12f) Jesus sagt: „Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren; weil du meinen Namen nicht verleugnet hast, habe ich vor dir eine Tür aufgetan und niemand kann sie zuschließen.“ Das wünsche ich uns: mit unserer kleinen Kraft an SEINEM Wort festzuhalten, uns zu IHM bekennen und dabei erfahren, wie er uns hält.
Amen.

(1) Klaus-Peter Hertzsch, Er tut auf, und niemand schließt zu. Offenbarung 3,7-13 - 2. Advent (9.12.2001), in: Ders. Hoffnungsbilder. Predigtmeditationen, Stuttgart 2012, S. 15-21.
(2) William Barclay, Offenbarung des Johannes Teil 1, Auslegung des Neuen Testaments, Neukirchen-Vluyn 2006, S. 134-145
(3) Vgl.: Okko Herlyn, Das Vaterunser. Verstehen, was wir beten, Neukirchen-Vluyn 2017, S. 47.
(4) Reinhard G. Kratz, Heiligkeit, in: Berlejung/Frevel u.a. (Hgg.), Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament (HGANT), Darmstadt 2006, S. 242f.
(5) Harald Sauer, 2.Advent. Predigt zu Offenbarung 3,7-13, in: Ders.: Im Glanz deines Lichts. Praxishilfen für Advent, Weihnachten, Jahreswechsel und Epiphanias, Gütersloh 2013, S. 36-41.
(6) Karin Seetaler, Der Weg der Kontemplation. Einfach, aber nicht immer leicht, Würzburg 2021, S.10-13.

Ev.-Luth. Kirchgemeinde Großschönau 
Hauptstr. 55
02779 Großschönau
Tel: 035841/ 35776
Fax: 035841/ 67715
Email: kg.grossschoenau@evlks.de
Pfarrer Gerd Krumbiegel
Tel. 035841/ 67716

Pfarrerin Christin Jäger
Kirchstraße 13, 02791 Niederoderwitz
Tel.: 0162 573 9970
Mail: Christin.Jaeger@evlks.de

 
Öffnungszeiten des Pfarramtes
Großschönau, Hauptstraße 55: Di. und Do. 8.30 – 12.00 Uhr
und 14.00 – 17.30 Uhr
Hainewalde, Bergstr. 27: Montag 15.00 – 17.00 Uhr
Hörnitz, Zittauer Str. 12: Dienstag 16.00 – 18.00 Uhr
Waltersdorf Dorfstraße 75: Mittwoch 14.30 – 16.30 Uhr

Friedhofsangelegenheiten Hainewalde: Herr Andreas Großer Montags 15.00-17.00 Uhr im Hospital, am Kirchberg 6, in Hainewalde

Diese Website nutzt Cookies. Wenn Sie die Website weiter nutzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu.