Von tückischem Giersch, falschen Radikalkuren und einer himmlischen Scheunenfete.
- Silvesterpredigt über Mt. 13,24-30 - von Pfr. Gerd Krumbiegel
Liebe Gemeinde,
bei den milden Temperaturen zum Jahreswechsel beginne ich mit einem Blick in die Gartensaison. In seinem launigen Buch: „Der kleine Gartenversager – vom Glück und Scheitern im Grünen“ beschreibt Stefan Schwarz seine Begegnung mit einer Pflanze, die ihn viel Zeit und Nerven kostete:
„Vor keinem Lebewesen bin ich öfter niedergekniet als vor Giersch. Giersch ist zwar essbar, aber er wächst wo er will. Er versteckt sich unter unseren Himbeersträuchern und wehrt sich gegen seine Vernichtung, indem er seine Wurzeln mit denen der Himbeere verknotet, wie ein Kind, das sich in die Arme der Mutter krallt, um nicht zum lieben Onkel Doktor gereicht zu werden. Ich habe trotzdem einen gewissen Ehrgeiz, den Giersch wenigstens kleinzuhalten. Himbeeren sind mein Liebstes, und ich möchte zwischen ihnen einhergehen und nicht ständig von den Stängeln dieses Kaninchenfutters zu meinen Füßen behindert werden. Also knie ich im Frühjahr im Himbeerbeet und versuche auszugraben und herauszuziehen, was so hochkommt. Wahrscheinlich werde ich von diesem Knien im kalten Erdreich irgendwann Rheuma bekommen, was die Absicht des Giersch zu sein scheint, denn er ist ein traditionelles Mittel gegen Rheumaschmerzen und so schließt sich der Kreis.“(1)
Liebe Gemeinde, dieser kleine Anschauungsunterricht in der Gartenpflege ist ein guter Einstieg für unseren Predigttext. Auch hier geht es um unerwünschte Pflanzen, zwischen den guten; auch hier ist die Frage: wie bekämpft man das, was wir als Unkraut bezeichnen; und schließlich wohin führt all das Gärtnern? Jesus erzählt dazu ein Gleichnis:
"24 Er legte ihnen ein anderes Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich gleicht einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. 25 Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. 26 Als nun die Halme wuchsen und Frucht brachten, da fand sich auch das Unkraut. 27 Da traten die Knechte des Hausherrn hinzu und sprachen zu ihm: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut? 28 Er sprach zu ihnen: Das hat ein Feind getan. Da sprachen die Knechte: Willst du also, dass wir hingehen und es ausjäten? 29 Er sprach: Nein, auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet. 30 Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt in meine Scheune." (Mt. 13,24-30)
Jesus vergleicht das Himmelreich mit einem ganz irdischen Vorgang, mit einer Erfahrung, die uns zugänglich ist, mit Landwirtschaft und mit dem Gärtnern. Umso auffälliger sind die Unterschiede, die da anklingen. Während jeder Gärtner lernen muss, mit Unkraut umzugehen, weil es eben dazugehört, wird hier von einem nicht näher beschriebenen Feind gezielt Unkraut ausgesät.
Heute zur Jahreswende, da liegt die Vorstellung nahe, dass wir auf das vergangene Jahr zurückblicken wie auf ein beackertes, bestelltes, gereiftes und abgeerntetes Feld.(2) Was von dem, was wir im vergangenen Jahr ausgesät haben, ist aufgegangen? Was konnten wir vielleicht sogar ernten? Und wo gab es Ernteausfall, ja vielleicht sogar eine Unkrautplage, die alles andere überwuchert und unter sich erstickt hat? Wie nahe liegt da der Wunsch, Nutzpflanze und Unkraut trennen zu können und genau auszusortieren. Welche Erfahrungen in diesem Jahr würden wir gern ausreißen und was wäre das Gute, das wir stehen lassen und weiter pflegen wollen? Zu beidem fällt uns sicher eine Menge ein. Die Einschränkungen durch die Pandemie, den damit verbundenen Streit und die Zerreißprobe, in der wir dadurch stehen. Einfach rausreißen und fort damit! Die schlechte Diagnose, den Trennungsschmerz, all der gegenwärtige Druck. Rausreißen und weit weg damit!
Wäre das nicht schön, wir könnten so das vergangene Jahr ausjäten und damit das Gute stärken? Doch so geht es nicht. Mancher geht vor dieser Aufgabe in die Knie wie der Gartenfreund vor dem Giersch, andere geben auf, weil das Unkraut einfach zu zahlreich nachwächst. Was soll man tun?
Zunächst heißt es, die „Strukturen des Bösen“(3) und seine Mechanismen zu durchschauen: Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. Als nun die Halme wuchsen und Frucht brachten, da fand sich auch das Unkraut.“
Als erstes nehmen wir wahr: Gedacht ist es ursprünglich anders: es war Gutes ausgesät aber es geht auch böse Saat auf. Das Böse in unserer Welt ist nicht sofort auf Gott zurückzuführen. Seine Gedanken für uns sind gute Gedanken. Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut… Der Angriff auf das Gute geschieht unbemerkt im Schutz der Dunkelheit. In der Nacht, wo die Aufmerksamkeit des Menschen heruntergefahren ist, macht sich ein Namenloser auf Unheil zu stiften; Gerüchte zu streuen, Streit und Zweifel zu säen. Das geschieht unbemerkt und dieser Feind spielt auf Zeit. Es wird das Gute nicht mit einem Ruck zerstört, sondern der Keim des Bösen gelegt, der sich erst allmählich entfaltet und auch jetzt noch nicht erkannt wird. Es sieht alles ganz harmlos aus. Einfach ein bisschen Grün und etwas anderes Grünes daneben. Der Feind spielt also auf Zeit. Und er tarnt sich. Denn das Unkraut, das hier gemeint ist, das ist der sogenannte Taumel-Lolch,(3) der dem Weizen lange Zeit zum Verwechseln ähnlich sieht. Erst wenn die Ähren sich ausbilden, wird der Unterschied sichtbar. Ein lange Zeit harmloses Erscheinungsbild wird nun zu einer schweren Bedrohung der ganzen Ernte.
Dieser Dreischritt: Handeln im Unbemerkten, auf Zeit spielen und Tarnen.(3) Das ist die Vorgehensweise des Bösen, die man bis heute beobachten kann und für die wir sensibel sein möchten. Da kann man auch hehre Ziele verfolgen, da kann das Gesagte und Geforderte logisch nachvollziehbar sein und als geboten erscheinen, erst spät wird der falsche Weg sichtbar.
Was also tun? Man muss doch was tun können! „Da traten die Knechte des Hausherrn hinzu und sprachen zu ihm: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut? Er sprach zu ihnen: Das hat ein Feind getan. Da sprachen die Knechte: Willst du also, dass wir hingehen und es ausjäten? Er sprach: Nein, auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet.“
Zuerst bemerken die Knechte, dass hier etwas nicht stimmt. Als nächstes die nüchterne Analyse: „Das hat ein Feind getan.“ Der Feind bleibt hier anonym und bekommt keine Personenbeschreibung. Wieviel Druck könnten wir aus der gegenwärtigen Krise nehmen, wenn wir alle Personalisierungen sein ließen! Nicht der Geimpfte mit seinem Appell zum Impfen ist die gute Pflanze und nicht der Ungeimpfte, der, warum auch immer noch zögert, gehört pauschal zum Unkraut. Der Feind gegenwärtig ist das Virus selbst!
„Willst du, dass wir hingehen und es ausjäten?“ Nein! So nachvollziehbar die Sehnsucht nach klaren Verhältnissen ist; so sehr wir nach Eindeutigkeit verlangen: Der Versuch das Böse auszurotten würde nur auf Kosten des Guten gehen.(2) Ich möchte das an einem Gedicht von Erich Fried deutlich machen. Es klingt wie das Rezept für die gute Welt:
Die Faulen werden beseitigt, die Welt wird fleißig;
Die Hässlichen werden beseitigt, die Welt wird schön;
Die Narren werden beseitigt, die Welt wird weise;
Die Kranken werden beseitigt, die Welt wird gesund;
[Die Impflücke wird beseitigt, die Welt wird sicher;]
Die Alten werden beseitigt, die Welt wird jung;
Die Traurigen werden beseitigt, die Welt wird lustig;
Die Feinde werden beseitigt; die Welt wird freundlich.
Die Bösen werden beseitigt, die Welt wird gut.
Liebe Gemeinde,
Sie haben auch gemerkt, ich habe eine Zeile ergänzt und ich habe mir die Freiheit genommen, das Wort „beseitigt“ einzufügen, wo Erich Fried von „geschlachtet“ spricht. Erich Fried formuliert drastisch, weil sein Gedicht unseren Widerspruch wecken will. Deutlich wird sofort: So geht es nicht! So sehr es unser Ziel bleiben muss und unsere Sehnsucht, dass Böse zu beseitigen; ein für allemal ausreißen lässt es sich nicht. Wie der Giersch hat der Taumel-Lolch seine Wurzeln mit denen der guten Pflanzen verknotet und es würde zuviel kaputt gehen, wenn wir nach unseren Maßstäben zum Schlachten ansetzten.
Viel eher ist es so, dass Kraut und Unkraut keine Seiten sind, die man wählen und auf denen man stehen könnte. Kraut und Unkraut finden sich, um bei dem aktuellen Thema zu bleiben, auf beiden Seiten und die Ähren sind noch nicht reif genug, dass wir bei allem, was wir selbst für richtig halten, das Unkraut eindeutig bestimmen könnten.
Und überhaupt zeigt sich auch in unserem Leben wie auf dem Acker des Hausherrn, dass Böse und Gut so leicht nicht zu unterscheiden bzw. zu trennen sind. Von Gerhard Schöne stammt ein Lied, das die Unfähigkeit Gutes und Böses eindeutig zuzuordnen sehr gut auf den Punkt bringt:(5)
War ein Bäuerlein, hatte nur ein Pferd,
Lief das Pferd davon und ist nicht heimgekehrt.
Kamen alle Nachbarn an, klagten laut, du armer Mann,
So ein Unglück, so ein Unglück, so ein Unglück nein.
Doch das Bäuerlein sprach leis: Obs ein Unglück ist, wer weiß. Morgen bin ich schlauer.
Als das Pferd tags drauf durch das Hoftor schritt,
Brachte es dem Bäuerlein noch ein Wildpferd mit.
Kamen alle Nachbarn an, freuten sich, du guter Mann,
So ein Glück hey, so ein Glück hey, so ein Glück hey hey.
Doch das Bäuerlein sprach leis: Obs ein Glück ist, nun wer weiß. Morgen bin ich schlauer.
Und des Bauern Sohn ritt das Wildpferd ein,
Stürzte von dem Pferd und brach sich ein Bein.
Kamen alle Nachbarn an, klagten laut, du armer Mann,
So ein Unglück, so ein Unglück, so ein Unglück nein.
Doch das Bäuerlein sprach leis: Obs ein Unglück ist wer weiß. Morgen bin ich schlauer.
Als ein Krieg im Land ausbrach, zog man die Burschen ein,
Nur des Bauern Jungen nicht mit dem gebrochnen Bein.
Kamen alle Nachbarn an, freuten sich, du guter Mann,
So ein Glück hey, so ein Glück hey, so ein Glück hey hey.
Doch das Bäuerlein sprach leis: Obs ein Glück ist, nun wer weiß. Morgen bin ich schlauer.
Dein Verhängnis ist doch vielleicht dein Glück
Und dein Hauptgewinn bricht dir das Genick.
Liebe Gemeinde,
Dieses Nichtwissen; ja, dieses Nicht-Wissen-Können, weil erst der Rückblick das Licht der Eindeutigkeit kennt, das ruft uns zu einer ganz aus der Mode gekommenen Tugend, nämlich der Demut: Nicht zu meinen, Kraft der eigenen Wassersuppe die Welt heilen zu können – denn das ist nichts anderes als eine Illusion –, sondern zu akzeptieren, dass diese Welt nicht perfekt ist; zu akzeptieren, dass auch wir Menschen mit den allerbesten Absichten sie nicht werden perfekt machen können. Und das lädt uns auch für das kommende Jahr zu einer Haltung ein, die Peter Bukowski als „tätige Geduld“(3, S.79) beschrieben hat. Einerseits nämlich für die bestmöglichen Wachstumsbedingungen zu sorgen, andererseits aber zu wissen: dort, wo es – auch aus ideologischen Gründen – mit dem Unkrautjäten übertrieben wird, da bleibt am Ende nichts übrig. „Denn Böses ist klebrig, es bleibt auch an den Händen derer haften, die es ausreißen wollen.“(2)
Was machen wir nun am Ende dieses Jahres mit dem ganzen Unkraut? Und welche misstrauisch beobachtete Pflanze wird sich womöglich noch als nützlich erweisen?
Bei dem vielen Reden vom Unkraut ist uns womöglich ganz entgangen, dass das Gleichnis gut ausgeht(3): „Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt in meine Scheune.“
Am Ende wird ein anderer aussortieren, was böse war und das Gute behalten. Am Ende wird sich das Gute als nachhaltig erweisen und durchsetzen. Und zwar nicht weil wir ihm zur Durchsetzung verholfen hätten, sondern weil es Gottes Versprechen ist: Das Himmelreich gleicht einem Menschen, der sprach: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt in meine Scheune.“ Das mag heute unser Trost sein, wenn wir angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen und Verwicklungen nach Sinn und Widersinn fragen und wenn wir drauf und dran sind zu resignieren. Was Gott für gut befindet und wen Gott durch Jesus Christus für gut befindet, der findet sich in Gottes Haus wieder. Denn zu seinen Freunden hat Jesus gesagt: Ich gehe hin euch eine Stätte zu bereiten. Auf ihn, auf Jesus Christus, lasst uns vertrauen. Denn eins ist sicher, Gottes Scheunenfete wird ein Fest sein, das das Dunkel dieser Tage vergessen lässt.
Amen.
Verwendete Literatur: (1) Stefan Schwarz, Der kleine Gartenversager. Vom Glück und Scheitern im Grünen, S. 136. (2) Stephan Goldschmidt, Die Seele zum Klingen bringen. Zur Predigtreihe IV, S. 29. (3) Peter Bukowski, Mut zum Unperfekten, in: Göttinger Predigtmeditationen, 76. Jahrgang, Heft 1, S. 74-80. (4) Erich Fried, „Die Maßnahmen“, abgerufen am 31.12.2021 auf: https://www.kirche-im-swr.de/?page=beitraege&id=28289. (5) Gerhard Schöne, Glück oder Unglück, auf der CD: Die sieben Gaben. Lieder im Märchenmantel.
Ev.-Luth. Kirchgemeinde Großschönau Hauptstr. 55 02779 Großschönau Tel: 035841/ 35776 Fax: 035841/ 67715 Email: kg.grossschoenau@evlks.de Pfarrer Gerd Krumbiegel Tel. 035841/ 67716 Pfarrerin Christin Jäger
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Tel.: 0162 573 9970
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