Jakob nannte die Stätte, da Gott mit ihm geredet hatte, Bethel, - Haus Gottes. (1.Mose 35,15)


Pfingsten - nicht erklären, sondern spüren

Pfingstpredigt am 5. Juni 2022 über Römer 8,1-11
von Pfr. Gerd Krumbiegel

Liebe Gemeinde,
in der ersten Hälfte des Kirchen­jahres, da liegen die größten Feste: Weihnachten, Ostern, Pfings­ten. Und jedes hat seine eigenen Symbole: Weihnachten hat den reich behängten Baum, das Kind in der Krippe und die heilige Familie. "Ostern hat das Kreuz und die Kerze und die Nacht und das Licht und die versteckten Eier auf der Wiese und im Wohnzimmer. Ja, und Pfingsten? Hm… Pfingsten also. Zaghaft flattert die Taube als Symbol für den Heiligen Geist."(1) Die Pfingstrose ist noch zu sehen und in manchen Kirchen auch die frisch geschlagenen Birken; schließlich fallen mir noch Pfingst­ochsen ein, aber die reichen in ihrer Bekanntheit bei Weitem nicht an die anderen Symbole und Zeichen heran. "Regel­mäßig gibt es Umfragen, die besagen: Kein Mensch auf der Straße, kein Kind in der Schule weiß, was Pfingsten soll."(1) Auch eine kleine Umfrage unter den Konfirmanden zeigte ein ähnliches Resultat.

Unwillkürlich strafft sich bei diesem Befund etwas in mir, ich setze mich instinktiv ein wenig aufrechter hin und erkenne meine Mission: Pfingsten also. Dann erkläre ich das Mal, und zwar so, dass es mindestens die Hälfte der Konfis nächstes Jahr noch weiß. – Doch wie ich anfangen will, da geraten mir die Erklärungen zu trocken, zu technisch. Und ich ahne allmählich, dass solches Erklären-Wollen wohl keine gute Maßgabe für eine Predigt ist. Das hat schon einen Kollege von mir zu folgenden Zeilen veranlasst:

Und wiederum Pfingsten –
Es brauset sehr!
Nein, nicht der Geist, es ist
der Ausflugsverkehr.

Was aber, was macht
Der Heilige Geist?
Er weint, und er lacht,
er klagt und er preist.

In der Kirche indes,
der halbvollen, halbleeren,
ist der Pfarrer bestrebt,
dies zu erklären.
(Kurt Marti)

Also die Gefahr ist groß, dass ich bei solchem Erklären-Wollen unter das Joch theologischer Lehrsätze gerate und mich so selbst zum Pfingstochsen mache.
   Darum lieber Vorhang auf für Paulus und für das, was er über Gottes Geist zu sagen hat. Er schreibt an die Gemeinde in Rom. Und sein Römerbrief wird so etwas wie sein Testament, weil Paulus hier den christlichen Glauben zusammenfasst. Und was er schreibt, ist gehaltvoll. Es gleicht weniger einem knuffigen Milchbröt­chen, als vielmehr festem Schwarzbrot. Ich lese Römer 8 in der Übersetzung der Basisbibel:

Neues Leben durch Gottes Geist
Es gibt also keine Verurteilung mehr für die, die zu Christus Jesus gehören. Das bewirkt das Gesetz, das vom Geist Gottes bestimmt ist. Es ist das Gesetz, das Leben schenkt durch die Zugehörigkeit zu Christus Jesus. Es hat dich befreit von dem alten Gesetz, das von der Sünde bestimmt ist und den Tod bringt.Das alte Gesetz war machtlos. Es scheiterte an unserer menschlichen Natur. Deshalb sandte Gott seinen eigenen Sohn in Gestalt eines der Sünde ausgelieferten Menschen. Er sollte sein Leben für unsere Sünden geben. … Jetzt ist unser Leben nicht mehr von der menschlichen Natur bestimmt, sondern vom Geist Gottes.Wer von der menschlichen Natur bestimmt ist, strebt nur nach weltlichen Dingen. Wer aber vom Geist Gottes bestimmt ist, strebt nach dem, was der Geist will.Nach weltlichen Dingen zu streben bringt den Tod. Aber nach dem zu streben, was der Geist will, bringt Leben und Frieden.…Wer also von seiner menschlichen Natur bestimmt ist, kann Gott unmöglich gefallen.
   Aber ihr seid nicht mehr von der mensch­lichen Natur bestimmt, sondern vom Geist Gottes. Denn der wohnt in euch. … Aber der Geist erfüllt euch mit Leben, weil Gott euch als gerecht angenommen hat.Es ist derselbe Geist Gottes, der Jesus von den Toten auferweckt hat. Wenn dieser Geist nun in euch wohnt, dann gilt: Gott, der Christus von den Toten auferweckt hat, wird auch eurem sterblichen Leib das Leben schenken. Das geschieht durch seinen Geist, der in euch wohnt.

Liebe Gemeinde,
vielleicht fragen Sie sich nach dem ersten Hören: Wie passt denn dieser Abschnitt zu dem fröhlichen Pfingstfest, wo ja selbst an den Stoffbehängen in der Kirche das pulsie­rende Rot zu sehen ist, ein Rot, in dem Blut, Feuer und Liebe erkennbar werden. Doch, liebe Gemeinde, lassen wir uns von den fremd anmutenden Worten des Paulus nicht abhalten; denn was er da aufgeschrieben hat, gehört zu den wertvollsten Gedanken unseres Glaubens. Und wenn wir nur nach Sätzen suchen, die uns leicht eingehen und bestätigen, so bleiben wir am Ende doch nur bei uns selbst. Was also sagt Paulus hier über Pfingsten?
   Für den ersten Gedanken verwende ich die Lutherübersetzung. „So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.“ Die Betonung liegt hier auf der merkwürdigen Formulierung: „in Christus sein“. Was könnte damit gemeint sein? – Hans Peter Royer beschreibt das in seinem Lebensrückblick so: „Schon als 15-jähriger Teenager habe ich die Botschaft Jesu in unserer evangelischen Kirche bewusst wahr­ge­­nom­men und mich darauf eingelassen. Aber Gott blieb für mich ein externes Wesen, irgendwo da draußen im All. Und trotz An­strengung fiel es mir schwer, den christlichen Weg zu gehen. Als 19-jähriger musste ich mir schließlich eingestehen, dass ich nicht in der Lage war, die Anforderungen des Evangeliums zu erfüllen. Ich kam zu dem Schluss, dass das Christenleben für fähigere oder moralisch bessere Menschen angedacht sein muss. Ich zog mich damals für mehrere Jahre von der christlichen Szene und auch von Jesus selbst zurück. Dieses Leben war zwar irgendwie einfacher, allerdings sehr ober­fläch­lich und oftmals leer.“(3)
  Hans Peter Royer, beschreibt sehr eindrücklich, wie man nach eigenem Verständnis und Wollen Christ sein kann, und wie doch etwas Entscheidendes fehlt. Anders wird das sort, wo die Sache mit Gott nicht außen bleibt, sondern ins Herz geht, ja in mir lebendig wird. Pfingsten wird, wenn Gott nicht außen bleibt, wenn die gute Botschaft nicht abperlt, sondern nach innen dringt, so wie der schöne Landregen am Wochenende; dass der geistliche Regen auf den Acker der Seele fällt, eindringt und Frucht bringt. Pfingsten wird, wenn Gott durch seinen Geist zur Kraft in uns wird. Paulus schreibt: Aber ihr seid nicht mehr von der mensch­lichen Natur bestimmt, sondern vom Geist Gottes. Denn der wohnt in euch. Pfingsten ist demnach kein Ereignis, das vor 2000 Jahren einmal stattgefunden hat, sondern Pfingsten ist heute, wo uns Gottes Geist und Kraft erfasst.
   Was Paulus dann sagt, ist doppelt spannend! Er stellt zwei verschiedene Zugänge zum Leben vor. Der eine Zugang besteht darin, sich „von der menschlichen Natur bestimmen lassen“ und der andere, sich „vom Geist bestimmen zu lassen“. Und wie das Erstere aussieht umschreibt Paulus so: „Wenn jemand nach seiner menschlichen Natur lebt, dann liegt ihm alles (wirklich alles) daran, die eigenen Wünsche zu befriedigen.“ – In alten Übersetzungen begegnet hier die Wendung: „fleischlich“ oder irdisch“ gesinnt sein.

Liebe Gemeinde,
hier zunächst ein Wort, um ein Missverständnis abzuwehren. Natürlich dürfen wir Wünsche haben und natürlich dürfen wir uns Wünsche erfüllen; und ja, Gott gönnt uns die Freude darüber, und zwar ganz. Also wogegen richtet sich Paulus hier, wenn er sagt: „Nach solch weltlichen Dingen zu streben, führt zum Tod.“ Paulus sagt: macht nicht die eigene Wunscherfül­lung zur Grund­lage eures ganzen Lebens; denn wo das geschieht, läuft etwas schief; dann rückt das Ziel mit jedem erfüllten Wunsch weiter, bis dir irgendwann die Puste ausgeht. Das ist der falsche Zugang, denn dein Leben ist mehr als die Bilanz erfüllter/unerfüllter Wünsche. Mit Hans Peter Royer gesprochen: Dieses Leben war zwar irgend­wie einfacher, allerdings oftmals leer.
 
Darum will Paulus uns für einen anderen Zugang zum Leben gewinnen: „Was die menschliche Natur will, führt zum Tod, aber was der Geist Gottes will, führt zum Leben und Frieden.“
  Sich vom Geist Gottes bestimmen zu lassen. Was das heißen kann, das haben wir in der Lesung von den ersten Jüngern gehört. Diese Männer und Frauen wurden mit einer Kraft ausge­rüs­tet, die sie vorher nicht kannten. Und diese Erfahrung war so mächtig, dass selbst die größten Sprach­bilder dafür zu klein schienen: Wind, Sturm, Brausen, Feuerzun­gen.
  In dieser Erfahrung zeigt sich, mit etwas gutem Willen ist es nämlich nicht getan. Es braucht Hilfe von außen.(4) Denn das Problem sitzt tiefer; wie tief, dazu eine eigene Beobachtung: in den stillen Momenten, da spüre ich: noch bevor ich lange Überlegungen anstelle, da hat sich in mir schon ein Wille gebildet; ich kann gar nicht frei entscheiden, was ich will; ich will immer schon irgend­etwas – und das ist bei Weitem nicht immer das Gute. – Sicher: Man kann viel ändern in seinem Leben, das haben wir im 21. Jahrhundert gelernt. Manche tragen Armbanduhren, die Puls und Schrittzahl messen, andere machen Trainings- und Ernährungspläne. Wir können sehr viel optimieren und bewirken, aber wie ändert man den eigenen Willen, die eigene Grundausrich­tung? Wie be­kommt das, was mich innen antreibt ein neues Ziel? – Wie gesagt, es braucht ein neues Element, etwas das größer ist als meine kleine Kraft.(4/7)
   Paulus beschreibt diese verändernde Kraft so: Aber der Geist erfüllt euch mit Leben, weil Gott euch als gerecht ange­nommen hat.Es ist derselbe Geist Gottes, der Jesus von den Toten auferweckt hat. Wenn dieser Geist nun in euch wohnt, dann gilt: Gott, der Christus von den Toten auferweckt hat, wird auch eurem sterblichen Leib das Leben schenken. Das geschieht durch seinen Geist, der in euch wohnt.
  Darauf kommt es an. Es braucht Gott selbst, der durch seinen Geist in mir Wohnung nimmt. Nur er kann tun, was ich selbst nicht schaffe, nämlich mich neu ausrichten hin auf seinen Willen. Doch dieser Schritt kostet etwas.
  Es gibt heute manche, gerade in unseren Breiten, die im Grunde alles haben, was sie brauchen. Und manchmal erwacht dann noch die Sehnsucht nach einer "geistlichen Erfahrung; etwas, das ihnen unter Umständen noch mehr Sinn, Erfüllung und Inhalt für ihr Leben geben könnte. Dann fangen sie sogar an an der richtigen Stelle zu suchen, bei Jesus Christus. Sie kommen dann ein paar Mal zur Kirche oder zum Hauskreis, bleiben dann aber weg. Nicht selten, weil sie entdecken, dass ein Leben in Christus nicht nur eine Ergänzung ihres bisherigen Lebens ist, nicht nur ein zusätzliches Aroma, sondern in gewisser Hinsicht das Ende ihres bisherigen Lebens. Sich auf Christus einlassen bedeutet, dass ein ganz neues Leben beginnt. Jesus renoviert nicht unser altes Leben, sondern er gibt uns ein neues. Und obwohl es das Beste ist, was uns passieren kann, haben wir Angst davor."(3) Uns Heutigen bedeutet die eigene Selbst­bestimmung so viel, dass wir Angst haben, das Heft des Handelns aus der Hand zu geben. Kaum etwas ist derzeit so hoch angesiedelt wie die Selbstbestimmung, die Autonomie.(5) Wir wollen um keinen Preis die Kontrolle verlieren und damit womöglich uns selbst. Dabei wissen wir zugleich, dass wir gerade dann am lebendigsten sind, je mehr wir uns einer Sache oder einem Menschen hingeben; uns an eine Sache oder an einen Menschen verlieren. Um wieviel mehr gilt das, wenn ich mein Leben Gottes Regie anvertraue und mein ganzes Wollen ihm überlasse?
  Was dann geschieht, dafür reichen selbst dem Paulus kaum die Worte. Aber der Geist erfüllt euch mit Leben, und zwarderselbe Geist Gottes, der Jesus von den Toten auferweckt hat, wohnt dann in euch.
  Wenn wir das mal einen Moment sacken lassen. Der Geist des Höchsten mit seiner Auferstehungskraft will in mir wohnen! Einen stärkeren inneren Antrieb,(8) eine mächtigere Ausrich­tung zum Leben schon hier und heute gibt es nicht. Pfingsten heißt, sich füllen zu lassen von einem Geist, den selbst der Tod nicht halten kann.
  Damit sind wir am Ende wieder am Anfang unseres Textes: So gibt es nun keine Verurteilung mehr für die, die zu Christus Jesus gehören. Für die, die sich Jesus Christus anvertrauen, gibt es keine Verur­tei­lung mehr; keine Verurteilung gestern, nicht heute und auch nicht morgen.(4) Wenn ich für mich annehme, was Jesus durch sein Leiden und Auferstehen getan hat, gefalle ich Gott, und zwar gefalle ich ihm so wie Jesus selbst ihm gefällt; es heißt dann von ihm wie von uns „Siehe, das ist mein geliebter Sohn, meine geliebte Tochter, an der ich Wohlgefallen habe.“ Und wenn ich ihm gefalle, dann kann auch das eigene Urteil nichts daran ändern. Da mag ich mir im Spiegelbild gefallen oder nicht, da mag ich versagt haben oder nicht, da mag ich mit meiner Meinung allein dastehen oder nicht. Bei ihm bin ich angesehen. Pfingsten sagt mir: Von nun an bist du mehr als das, was deine Augen und die Augen anderer in dir sehen. Du bist angesehen von Gottes Augen. So angesehen, dass er in dir wohnen will.
Amen.

Verwendete Literatur:
(1) Anne Gideon, Pfingsten zum Klingen bringen, in: Einander ins Bild gesetzt. Predigten aus der dramaturgisch-homiletischen Werkstatt, S. 71-78. (2) Pfingsten, in: Kurt Marti, Läuten und Eintreten bitte. Ein Lesebuch zum Jahreslauf, S. 159. (3) Hans Peter Royer, Dunkler als Finsternis. Heller als Licht, S. 94 und 131. (4) Timothy Keller, Durch Gottes Gnade verändert leben. Der Römerbrief erklärt Kapitel 8-16, S. 13.9. (5) Ulrich Wilckens, Römer 8,1-11. Vom Wesen und Wirken des Heiligen Geistes, in: Hans-Hemlar Auel (Hg.), Gottesdienste zum Pfingstfest, S. 201-210. (6) Fulbert Steffensky, Schöne Aussichten. Einlassungen auf biblische Texte, S.85-86. (7) William Barclay, Brief an die Römer, 112. (8) Göttliche Utopie, in: Kurt Marti, Läuten und Eintreten bitte. Ein Lesebuch zum Jahreslauf, S. 174-176.

Ev.-Luth. Kirchgemeinde Großschönau 
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Pfarrer Gerd Krumbiegel
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Pfarrerin Christin Jäger
ist bis Dezember in Elternzeit.
Kontakt ist derzeit nur über Mail möglich:
Christin.Jaeger@evlks.de

 
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