Jakob nannte die Stätte, da Gott mit ihm geredet hatte, Bethel, - Haus Gottes. (1.Mose 35,15)


Leben in der Nachfolge Jesu

Predigt am 05.02.2023 über Matthäus 9,9–13 zum Thema Nachfolge
von Pfr. Gerd Krumbiegel

Liebe Gemeinde,
im heutigen Thema der Predigt geht es ums Ganze des christlichen Glaubens. Und das nicht im dogmatisch-schulbuchmäßigen Sinne, – ich höre einige schon aufatmen – sondern ganz praktisch, handfest und spürbar. Und dieses praktische Christsein, das bündelt sich in dem einen Begriff, nämlich dem der „Nachfolge“.
   Schon hier könnte man staunen, wie einfach dieser Kern christlichen Glaubens daherkommt. Es geht nicht um Quantenphysik, es geht auch nicht um die Funktionsweise von Dual-Fluid-Reaktoren oder um analytische Molekularbiologie, nein, es geht schlicht um Nachfolge. Und dabei steht nicht der gewöhnliche Sprachgebrauch im Blick, nämlich wer die Nachfolge von wem antritt. Meistens geht es da ja um Trainerposten im Fußball, für die schnell eine Nachfolge gesucht wird. Nein, bei Nachfolge geht es zu allererst darum im buchstäblichen Sinne jemandem hinterherzugehen.(1) Nun, wenn wir uns auf den Weg oder auf eine Wanderung machen, dann treffen wir Vorbereitungen. Wir machen uns Gedanken darüber, was in den Rucksack muss und was wir auf dem Weg unbedingt brauchen. Das Allermeiste bleibt zu Hause. So nehmen wir zum Beispiel die Anrichte aus der Küche nicht mit – obwohl sie uns sonst gute Dienste leistet –, aber die Trinkflasche, die nehmen wir mit.
   Doch was nehmen wir nun mit, wenn es sich um eine Wanderung handelt, die ein Leben lang dauert; eine Reise, bei der wir nicht wissen, wo genau sie uns hinführen wird? Würden wir uns überhaupt auf so etwas Vages einlassen?

Hören wir, was der Evangelist Matthäus erlebt hat: Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm. 10 Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern. 11 Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern? 12 Als das Jesus hörte, sprach er: Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. 13 Geht aber hin und lernt, was das heißt: »Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.« Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.

Liebe Gemeinde,
eine Geschichte, ja eine Begebenheit, die bis heute nichts von ihrer Faszination verloren hat. Eine Lebenswende in 8 Worten, im Griechischen sogar nur 4: „und er stand auf und folgte ihm.“
  Um die Trageweite zu erkennen, müssen wir das Bild einfrieren, aus dem Zeitraffer ein Standbild machen. Wir sehen Jesus, der mit seinen Jüngern in Kapernaum ist, am See Genezareth. Es begegnen ihm viele Menschen, ein Gelähmter wird zu ihm gebracht und geheilt, Fischerboote liegen am Ufer, Netze werden gewaschen. Und genau hier setzt unsere Geschichte ein: „Und als Jesus von dort weiterging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus.“
  Für das, was kommt, sind diese wenigen Angaben entscheidend. Jesus geht vom See Genezareth weg, Jesus ist dabei weiterzuziehen, er ist ein Wanderprediger, der nie länger an einem Ort bleibt. Wenn man ihn traf, dann konnte man nicht sagen, wann man ihm wieder begegnen würde und ob überhaupt. Jesus geht an der Zollstation vorüber, im Lateinischen steht hier das schöne Wort „transit“(2). Die Begegnung, die sich nun ereignet geschieht im Vorübergehen.(3) Es kommt also darauf an, sich zu entscheiden, und zwar nicht in stundenlangem Abwägen, sondern schnell. Und auch im Vorübergehen nimmt Jesus sich Zeit. „Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus.“ Jesus nimmt sich Zeit, den Zolleinnehmer anzuschauen, genau hinzuschauen, unter die Oberfläche zu sehen.(3) Jesus sieht den Zolleinnehmer anders an als die Menschen damals die Zolleinnehmer ansahen. Denn, was sahen die Menschen, wenn sie einen Zolleinnehmer vor sich hatten? Sie sahen zuerst jemanden, der einmal zu ihnen gehört hatte. Zolleinnehmer wurden von den Römern aus dem Volk rekrutiert. Sie waren also Personen, die mit der Besatzungsmacht zusammenarbeiteten und waren ungefähr so beliebt im Volk wie heute die prorussischen Kräfte in der Ukraine.
  Aus dem Landsmann war ein Beamter der Fremdmacht geworden; einer der früher vielleicht selbst ein Feld bestellt oder Fische gefangen hatte, ließ sich nun die Waren zeigen und schätzte sie ein. Er war jemand, der sich mit Zahlen und Formularen auskannte, mit Steuerrabatt und Etiketten. Er war jemand, der sogar das Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz(4) kannte, hätte es das damals schon gegeben. In seinem Fall wahrscheinlich eher ein Fischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz.
  So einen sahen die Menschen in ihm.
Und was sahen sie noch? Sie sahen im Zöllner einen Betrüger.(3) Denn das System war so gestrickt, dass es Vorgaben gab, wie viel Zoll abgeliefert werden musste. Wollte der Zöllner also leben, musste er von den Leuten mehr verlangen, als die Römer von ihm. Und das, was er mehr verlangte, ging wiederum von dem kargen Lebensunterhalt der Leute ab.
  Und was sahen die Menschen noch? Sie sahen einen, den man nicht gerne ansah. Dessen einschätzende und taxierende Blicke gefürchtet waren. Sie sahen einen berufsmäßigen Sünder, und das nicht nur wegen des Betrugs, nein. Die frommen Juden hielten sich ja fern vom Kontakt mit Nichtjuden. Denn die Überzeugung war, dass man mit der Berührung eines Heiden unrein wurde, also für mindestens einen Tag nicht in den Tempel durfte, und damit ausgeschlossen von Gott.
  Indem nun die Zöllner alle kontrollieren und abzukassieren hatten, war es unmöglich, dass sie die Reinheitsvorschriften einhalten konnten. Sie waren also von Berufswegen in ständiger Trennung von Gott.(5)
  Ahnen wir jetzt, was alles in diesem ersten Satz mitschwingt? „Und als Jesus von dort weiterging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus.“
Jesus sieht Matthäus. Und zwar im Sinne der Jahreslosung: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Er sieht nicht zuerst den Beruf, nicht das Geldzählen oder die Korruption; nein, Jesus sieht den Menschen Matthäus, mit seinem Wunsch zu leben, mit den Gründen, die ihn gedrängt haben, diesen Beruf anzunehmen, er sieht auch die Bitterkeit, die sich angesammelt hat und wie er es den Leuten mit erhöhten Steuersätzen heimzahlen will. Jesus sieht jemanden, dessen Leben äußerlich zwar gesichert ist, der aber von seinem Ansehen her und von seiner Person so sehr am Rand steht, wie kaum ein anderer. Der Zöllner ist festgelegt, er ist, was er tut. Und selbst wenn er nicht am Zoll sitzt, wird er immer der Zöllner blieben. Aus. Ende.
  „Und als Jesus von dort weiterging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; Und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm.“
  Eine Lebenswende in wenigen Worten! Denn eines war klar: Wenn Matthäus mit dem Wanderprediger mitgeht, würde er sein Zollamt nicht mehr ausüben können. In Zeiten, in denen noch längst nicht an Digitalisierung zu denken war, konnte Zoll nur vor Ort erhoben werden. Wenn Matthäus hier aufsteht und alles stehen und liegen lässt, dann heißt das: Er gibt seinen Beruf auf, er gibt seine bisherige Lebensgrundlage auf, er verlässt alle Sicherheiten und beginnt ein neues Leben; ein Leben, von dem er am Morgen nicht sagen kann, wo er abends schlafen wird (vgl.  Lk 9,58); ein Leben, wo er heute noch nicht sagen kann, was er morgen essen wird. Ein Leben arm an äußeren Sicherheiten, aber an innerer Geborgenheit reich! Das ist Nachfolge.
  Und wenn ich dieses Bild anschaue, treibt mich die Frage: Was muss in diesem Blick Jesu gelegen haben, dass einer, der den Blicken aller standhielt, von vorn anfängt? Was muss Matthäus in der Stimme Jesu und in seinem Wesen für eine Autorität gespürt haben, dass er nicht einmal irgendwelche Einwände erhebt; ja Matthäus sagt überhaupt nichts! Die einzige Sprache, die er spricht ist die Körpersprache, er antwortet mit Handlung(6): Und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm.“
  Ein Leben beginnt neu. Wäre Matthäus nicht mitgegangen, hätte er die Wunder Jesu nie gesehen, hätte nie seine Worte gehört, wäre geblieben wer er war; der arme Reiche; mitten unter Leuten und doch allein. Nun aber beginnt sein Leben neu. Das ist Nachfolge.
  Wäre ich mitgegangen? Oder noch konkreter, gehe ich heute mit Jesus mit? Folge ich ihm, oder mache ich weiter mein Ding?
  »Es wird erzählt, Mahatma Gandhi sei einmal von einem Freund gefragt worden: Ich stelle fest, du hast ein lebhaftes Interesse an Jesus Christus. Warum willst du nicht Christ werden?“ Darauf soll Gandhi geantwortet haben: „Ich würde das ernsthaft in Erwägung ziehen, wenn ich einmal einen Christen treffen würden, der Christus wirklich nachfolgt.“
  Vermutlich sind wir alle – und da beziehe ich mich ausdrücklich ein – von radikaler Nachfolge weit entfernt. Viele von uns sind eher „Christus und XY-Nachfolger“. Wir lieben ihn und das Geld; wir meinen ihn und das Vergnügen; wir folgen ihm und den Angeboten dieser Welt; wir suchen ihn und Anerkennung im Leben; wir vertrauen ihm und den tausend Absicherungen im Alltag. – Was würde geschehen, wenn wir uns nur noch an ihn hielten?«(7) An seine Demut, die mutiger war als unsere kriegerische Tollkühnheit; wenn wir auf ihn hören würden, anstatt auf die klingenden Kassen der Staatsleistungen.(8) – Die wir historisch gesehen zwar zurecht beziehen, aber haben wir mit diesem finanziellen Vorteil nicht auch die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit unserer Botschaft als Kirche in Gefahr gebracht? Wir als Großkirche sitzen nicht an der Zollschranke, aber an der Subventionsschranke und öffnen fleißig, und winken durch, wenn die Kasse stimmt.
  Was würde geschehen, wenn wir uns stattdessen ganz im Hören und im Tun auf Jesus konzentrieren würden? Wenn wir seiner Botschaft des Gewaltverzichtes Gehör verschafften, seiner Liebe zum Mitmenschen unabhängig von der Person; unabhängig auch der Nation?
  „Und als Jesus vorüberging, sah er einen Menschen in der Kirche sitzen, der hieß Matthias, der hieß Manuela, der hieß Reinhart, der hieß Pauline – hier möchten wir unseren Namen einsetzen;
Und er sprach zu ihm, und er sprach zu dir und zu mir: Folge mir!

  Jesus geht auch heute hier an uns vorüber. Lassen wir diesen Gottesdienst an uns spurlos vorüberziehen und gehen nachher wieder die gewohnten Wege und Bahnen? Oder hören wir, dass dieser Ruf uns gilt: Folge mir!
Wie kann das aussehen, Jesus zu folgen?
  Hier müsste im Grunde eine zweite Predigt ansetzen. Das können wir nur ein anderes Mal vertiefen. Hier nur wenige Striche. Klar ist: Sowohl als einzelne wie auch als Kirche. Wenn wir Jesus nicht nachfolgen, dann bleiben wir ohne Verbindung zu ihm und damit leiben wir ohne Verbindung zu dem, der gesagt hat: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Es geht darum, sich Jesus anzuvertrauen und ihm auf der Spur zu bleiben. Und da sind es die scheinbar einfachen Dinge, die diese Verbindung halten: Sich im Gebet ihm zu öffnen und korrigieren zu lassen; in der Bibellese auf seine Stimme zu hören und in der Gemeinschaft miteinander, ihn zu entdecken.
Lindolfo Weingärtner hat das so beschrieben:(9)
"Der Mensch, der Jesus nachfolgt, ist nicht wie ein Eisenbahnwaggon, der zwischen anderen Waggons auf festgelegten Schienen dahin fährt. Nachfolge ist etwas anderes.
Gerade da, wo wir in unseren alten Geleisen festgelegt waren, nimmt uns Gott heraus aus unserer Routine, unserem alten Trott, und stellt uns auf weiten, freien Raum.
Gerade dem Menschen, der sich immer schieben ließ, der eigentlich nie einen eigenen, freien Schritt getan, sagt Gott: Stehe auf und folge mir!
Das heißt: Gehe nun meinen Weg in Freiheit. Es ist dein Weg. Denke, bete, wirke – zum ersten Mal als freier Mensch.
Folge der Kompassnadel deines Gewissens, das nun durch mein Evangelium auf dein wahres Ziel ausgerichtet wurde.
Schiele nicht mehr auf Menschen.
Lass dich nicht schieben auf den Schienensträngen des Zeitgeistes.
Handle nun in eigener Verantwortung – aus Überzeugung, nicht aus Berechnung.
Lebe in der Freiheit Jesu – auch dir selbst gegenüber.
Sei nicht dein eigener Treiber, dein eigener Sklavenhalter.
Lebe als Mensch, der erlöst wurde – auch aus der Tyrannei seiner eingefahrenen Gewohnheiten.
Geh deines Weges gelöst, geh leichten Schrittes! Folge mir!"
Und er stand auf und folgte ihm.“

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in der Nachfolge Jesu. Amen.

 

Verwendete Literatur:
(1) Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament (EWNT), Bd. 1, Spalte 118. (2) Wörtlich: „et cum transiret“ siehe: https://vulgate.org/nt/gospel/matthew_9.htm. (3) Matthias Freudenberg, Das Herz beim Armen, in: Göttinger Predigtmeditationen, 77. Jahrgang, Heft 1, S. 134–139. (4) Die Verwendung dieses Begriffes verdankt sich den Konfirmanden der Klasse 8, mit denen ich gewettet hatte, ob ich dieses Wort in der Predigt unterbringen würde. Gewonnen habe ich eine Zusage zu einem Arbeitseinsatz der Kirchgemeinde. (5) Wolfgang Wiefel, Das Evangelium nach Matthäus, ThHK, S. 178, Leipzig 1998. (6) Dietrich Bonhoeffer, Der Ruf in die Nachfolge, in: Ders: Nachfolge, Stuttgart 19586, S. 13. (7) Reinhold Ruthe, Du sprichst mit mir. Ermutigungen für jeden Tag, Basel 2014, S. 236. (8) Vgl. den Beitrag der Tagesschau zur geplanten Ablösung der Staatsleistungen am Vorabend des Sonntags (04.02.2023: https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-55577.html) (9) Lindolfo Weingärtner: Der Weg des Jüngers, in: Ders.: Netz der Hoffnung. Gedichte und Betrachtungen aus Brasilien, Erlnagen 1980, S. 18.

Ev.-Luth. Kirchgemeinde Großschönau 
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Pfarrer Gerd Krumbiegel
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ist bis Dezember in Elternzeit.
Kontakt ist derzeit nur über Mail möglich:
Christin.Jaeger@evlks.de

 
Öffnungszeiten des Pfarramtes
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Friedhofsangelegenheiten Hainewalde: Herr Andreas Großer Montags 15.00-17.00 Uhr im Hospital, am Kirchberg 6, in Hainewalde

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