Gottes Antwort auf ehrliches Fragen - Andacht am Ostermorgen
von Pfr. Gerd Krumbiegel
Das Oster-Evangelium aus Markus 16:
„Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.“
Die drei Frauen am Ostermorgen haben denselben Ort angesteuert wie heute Morgen wir. Sie gehen zu dem einen Grab, wir zu den vielen. Sie sind gemeinsam gekommen, wie wir. Sie stellen sich einer Situation, die neue Wunden schlagen wird, denn die Wahrnehmung ist unvermeidlich, dass der Tote tot ist. Die drei Frauen stehen zu ihrer Trauer; gehen dorthin, wo es wehtut: ans Grab. Sie tun, was getan werden muss, was immer getan werden muss. Das hilft.(1) Jede kommt mit ihren eigenen Gedanken, fröstelnd. Als die Sonne aufgeht, hat vermutlich keine von ihnen einen Blick für die Schönheit dieses Momentes. Höchstens innerlich fällt etwas Furcht ab, in dem Maß wie das Dunkel erhellt wird.
Auch wir sind heute Morgen hier. Wir bringen unser Suchen mit, auch die Sehnsucht nach der Botschaft von der Auferstehung. Da ist die Hoffnung, dass diese Botschaft im Herzen lebendig wird und uns ergreift, uns herausreißt aus dem Trauerzug dieser krisendurchwirkten Jahre. Wir wollen hören, dass Gott das Dunkel der Hoffnungslosigkeit vertreibt. Hier zwischen den Gräbern von Menschen, die nicht mehr bei uns sind, suchen wir nach dem erlösenden Satz, dass das Leben siegt. Doch vor diesem Satz türmt sich etwas auf.
„Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?“
Das ist eine ehrliche Frage. Und es rührt uns an, dass die drei Frauen womöglich losgezogen sind, ohne diese Frage im Voraus bedacht zu haben, einfach weil das Vorausdenken in der Trauer nicht seinen Ort hat, weil man nur den nächsten Schritt sieht: das Einkaufen der Öle, das Verabreden zum Losgehen und dann den Augenblick, tatsächlich den ersten Schritt auf diesem schweren Gang zu machen. Und während sie noch denken, die größte Anstrengung geschafft zu haben, nämlich loszugehen, da kommt das Grab in Sicht, da tut sich dieses noch größere Hindernis auf.
„Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?“
Das ist eine ehrliche Frage. Oder ist es sogar so, dass die Frauen mit dem Wissen um diesen Stein losgezogen sind? Mit dem Wissen, sich nicht nur seelisch, sondern auch körperlich in eine Situation zu begeben, die ihre Kraft übersteigt? War der erste Schritt auf den Weg zum Grab womöglich keine Überwindung, sondern eine Befreiung aus dem tatenlosen Warten und Nichts-Tun-Können?
„Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?“
Die drei Frauen kehren jedenfalls nicht um. Sie gehen ans Grab, obwohl ihre Mission nach menschlichem Ermessen zum Scheitern verurteilt ist. Sie stellen die ehrliche Frage, wer ihnen denn den Stein wegwälzen könnte. Ehrlich ist diese Frage in der Einschätzung der eigenen Kräfte. Und wie anders gehen wir da mit den Steinen um, die uns im Wege liegen? Auf dem Stein, den wir wegzuwälzen haben, da stehen neben dem, was jeder persönlich zu bewältigen hat, Dinge wie: „Klima“, „Krieg“ und „Zerrissenheit“. Doch obwohl wir wissen, dass dieser Stein für uns zu schwer ist, fragen wir nicht: „Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?“, sondern wir machen uns selbst daran, als hinge alles von uns ab. Versagen verboten. Antriebsfeder ist die Angst, was passiert, wenn es uns nicht gelingt, diese Steine fortzuschaffen.
Wir wissen nur: Der Stein muss weg. Doch wir kriegen diesen Stein nicht weg; und wenn doch, was werden wir dort noch finden? Was ist, wenn dort nur der nächste Stein wartet?
Da sind die drei Frauen realistischer. Sie können einschätzen, was in ihrer Kraft steht und was nicht. Und dennoch tun sie das Ihre. Das ist das erste, was das Licht des Ostermorgens uns zeigt: Sich und die eigenen Kräfte nicht für das Ganze zu nehmen. Hilfe zu erwarten und Hilfe zu erbitten von Gott. Mit seinen Möglichkeiten rechnen.
„Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?“ „Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß.
Der Stein ist weg. Genauer gesagt, der Stein war weggewälzt. Ich mute uns heute morgen eine grammatische Betrachtung zu: Rein sprachlich ist das eine passive Formulierung, bei der der Urheber nicht benannt ist. Als Student freuten wir uns über solche passiven Ausdrucksweisen, denn sie gelten als passivum divinum, als göttliches Passiv. Will sagen: weggewälzt hat den Stein Gott und die passive Formulierung „war weggewälzt“ ist ein diskreter Hinweis darauf, dass er am Werke war, auch wenn es niemand beobachtet hat; wie oft auch heute ist er am Werk ohne dass wir es beobachten hätten. Wie oft sind im eigenen Leben oder auch für uns als Gemeinschaft Steine weggewälzt worden, wo wir im Rückblick merken: dass das geschehen ist, war mehr als die Summe der eigenen Anstrengungen.
"Ein alter Mann, den ich zum Geburtstag besuchte, sagte mir: Wenn sie wüssten, was ich alles erlebt habe, im Krieg, danach bis 1953 in Gefangenschaft, dann jahrelang unter Tage, und der Tod meiner Frau. Und das alles habe ich überstanden! Raten Sie mal, wem ich das zu verdanken habe. Dabei zeigte er in Richtung Himmel und lächelte."(1) Dasselbe könnten wir im Blick auf 1989 sagen und in Richtung Himmel zeigen.
Interessant ist nun Folgendes: obwohl der sehr große Stein, also das bisher größte Hindernis, aus dem Wege geräumt ist, wird keine Freude oder Erleichterung notiert. Stattdessen überschlagen sich die Ereignisse:
Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten.“
Der Stein ist weggerollt und das Grab ist leer. Statt des Leichnams ist da ein Jüngling im weißen Gewand. Und es heißt: sie entsetzten sich. Ob sie sich über den Anblick des Jünglings, oder über das leere Grab; oder über beides entsetzen, bleibt offen. Jedenfalls merken sie, dass der Stein, den sie für das größte Problem hielten, eher die kleinere Schwierigkeit war. Und sie hören Worte, die all das bisher Unternommene infrage stellen: Das Salböl, den Weg, die Sorge um den Stein und ihre Absicht des Totenkultes. Das leere Grab macht sie fassungslos, denn, so unbegreiflich der Tod eines lieben Menschen ist, für das, was hier geschieht, gibt es keine Rituale und Handlungsanweisungen mehr.
Viel Zeit bleibt dem Engel nicht, um ihnen auszurichten, was ausgerichtet werden muss.
„Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.“
Gott handelt sonderbar. Was er tun kann und was er tut, passt nicht auf die Karte unseres klar abgesteckten Weltbildes. Und wo so Unvorhergesehenes geschieht wie hier, da liegt es nahe, zu erschrecken. Und dennoch benutzt Gott unsere Gedanken und Wege dazu, dass er mit uns an sein Ziel kommt. Die drei Frauen sind zwar angesichts des leeren Grabes mit den falschen Sorgen, Gedanken und Beweggründen losgezogen, aber all das hat dennoch dazu geführt, dass sie genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. Gott begegnet ihnen an dem Ort, wo alle Wege enden, und schickt sie auf einen neuen Weg, den Weg ins Leben.
Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.“
Christus ist den Jüngern damals genauso wie uns heute vorausgegangen in den Tod, und er ist uns vorausgegangen ins Leben. Die Steine, die uns auf der Seele liegen, die räumt letztlich er aus dem Weg. Er begegnet uns trotz unserer guten, aber falsch ausgerichteten Absichten. Wo wir das Ende und die Apokalypse sehen, da öffnet er uns einen Weg und richtet uns neu aus. Unser Weg endet nicht an den Gräbern, sondern hat sein Ziel bei IHM. Wer sich Jesus anvertraut, für den gilt: Wo er ist, dahin gehören wir. Mit den Worten des Engels gesprochen: dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.“
So wie der Engel die Frauen und Jünger vom leeren Grab wegschickt nach Galiläa; So schickt er nun uns mit der Botschaft von Ostern an den Ort unseres Alltags zurück. Ostern sagt uns: Wir dürfen getrost von ihm erwarten, was zu schwer für uns ist; Ostern sagt uns, es gibt im letzten Sinne keine ausweglosen Situationen mehr für uns, denn wer an ihn glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt; Ostern sagt uns: Fürchte dich nicht davor, einen falschen Schritt zu tun, denn wer ihm vertraut, zu dem und mit dem findet Gott seinen Weg. Fürchte dich nicht! Er wird vor dir hingehen in das Land, das keine Grenzen kennt.
Amen.
Verwendete Literatur:
(1) Sabine Meister, Er ist wahrhaftg auferstanden. Gottesdienst zum Osterfest, Handreichung des Gottesdienstinstitutes für Ostern 2023, S. 17.
(2) Hanno Gerke, Mit ihm auf dem Weg, in: Chr. Schwarz (Hg.) Gottesdienstpraxis. Ostern, 2015, S. 42f.
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