Barmherzig Handeln - Damit niemand auf der Strecke bleibt!
Predigt über den Barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37) aus der Perspektive von Rettungs- und Einsatzkräften
Gehalten im Blaulicht-Gottesdienst am 11.2.24 zum Tag des Europäischen Notrufs (112) vor den Einsatzkräften von Feuerwehr, Rettungsdiensten und Fahrdiensten, Polizei, THW, Katastrophenschutz und Kriseninterventionsteam
von Pfr. Gerd Krumbiegel
Die Frage nach dem ewigen Leben. Der barmherzige Samariter
25 Und siehe, da stand ein Gesetzeslehrer auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? 26 Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du? 27 Er antwortete und sprach: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt[3], und deinen Nächsten wie dich selbst« 28 Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tu das, so wirst du leben. 29 Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster? 30 Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halb tot liegen. 31 Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber. 32 Desgleichen auch ein Levit: Als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber. 33 Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte es ihn; 34 und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. 35 Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme. 36 Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste geworden dem, der unter die Räuber gefallen war? 37 Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!
Liebe Gemeinde, liebe Einsatzkräfte,
den Bibeltext für die Predigt haben wir schon gehört: Die Geschichte vom barmherzigen Samariter.
Es ist eine Geschichte, die Viele gut kennen. Und doch beschreibt sie ein Geschehen, dem man sich kaum entziehen kann. Einer fällt unter die Räuber und liegt hilflos da. Zwei gehen vorbei und lassen ihn liegen, ein Dritter, ein Fremder aus Samarien, hilft. Und heute zum Blaulichtgottesdienst lade ich Sie und Euch ein, diese bekannte Geschichte, einmal aus einer ungewohnten Perspektive anzuschauen. Es handelt sich hier ja im Grunde um die Schilderung eines Notfalls.
Wie wäre es da, diese Geschichte also aus Ihrer und Eurer Sicht, liebe Einsatzkräfte und Rettungsdienste, zu lesen? – Klammer auf: So gut sich der Pfarrer eben in diese Materie hineinversetzen kann. Für Korrekturen eignet sich nachher eine gemeinsame Tasse Kaffee, bei hartnäckigen Missverständnissen meinerseits muss der Glühwein herhalten. Klammer zu.
Auf geht’s: Wie fast jeder Einsatz mit einer Anfahrt zum Einsatzort beginnt, brauchen wir auch hier eine kurze inhaltliche Anfahrt. Und die beginnt mit zwei theoretischen Fragen des Schriftgelehrten: Zum einen: Was muss ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe? – Also: Wo finde ich echtes und erfülltes Leben, das über das Hier und Heute hinausweist? – Und zum anderen: Wer ist denn mein Nächster? – Auf gut Deutsch: Für wen bin ich eigentlich verantwortlich und für wen nicht?
Als Antwort führt Jesus nun eine praktische Notsituation vor Augen und drei Menschen, die ihr begegnen. Tempeldiener, Priester und Samariter. Sie müssen sich zu dieser Not verhalten und eine Entscheidung treffen.
Eine erste Beobachtung: Damals vor 2000 Jahren können sie alle drei in dieser Situation keinen Notruf wählen, um Hilfe zu holen. So wie es übrigens in vielen Ländern der Erde heute noch ist, in denen es kein vergleichbares System des Notrufes und der Rettungsdienste gibt. Da kannst du einen Verletzten nur auf deinen Esel oder in dein Auto packen, so du eines hast und ihn in ein Krankenhaus fahren, so es denn eines gibt und sofern du es dann auch bezahlen kannst.
Doch nehmen wir einmal an, der Samariter hätte wie wir heutzutage die 112 rufen können, was hätte sein Gespräch mit der Rettungsleitstelle ergeben? Da ist erstens einer unter die Räuber gefallen. – Das wäre das Stichwort für Alarmierung der Polizei. Hier ist zweitens einer halbtot. – Da wäre also auch der Rettungsdienst verständigt worden. Und selbst das reicht noch nicht, denn die geographische Lage erschwert das Ganze. Der Mann befindet sich auf einem Weg, der von Jerusalem nach Jericho steil abfällt und felsig ist. 1200 Höhenmeter sind auf dieser Strecke zu überwinden.(1, S.154) Als einsam und felsig wird der Weg beschrieben.(2, S.210) Hier wird also auch entsprechende Ausrüstung für Anfahrt und Bergung erforderlich sein, so wie Bergwacht, Feuerwehr oder THW darüber verfügen.
Wie gesagt, der Samariter konnte solche Hilfe nicht holen, aber die Fülle der Aufgaben, vor die er gestellt ist, wird schon hier deutlich. Und der Samariter handelt trotzdem.
Warum handelt er und die anderen beiden gehen an dem Verletzten vorbei? Im Griechischen steht hier sogar ein Wort, das noch drastischer ist. Man müsste eigentlich übersetzen, Tempeldiener und Priester gingen nicht nur vorüber, sondern sie „wichen nach der entgegengesetzten Seite aus“.(3, S.239) Es ist nicht so, dass sie ihn nicht gesehen hätten. Nein, sie machen bewusst einen Bogen um ihn.
Wie real das ist, konnte man im August letzten Jahres sehen,(4) als ein pakistanischer Bergträger am K2, dem zweithöchsten Berg der Erde, mehrere Meter abgestürzt war. Was geschah? Insgesamt 70 Bergsteiger stiegen über ihn drüber ohne ihm zu helfen; und das nur, um ihren Gipfelerfolg nicht zu gefährden. Den Abgestürzten kostete auch das schließlich das Leben.
Warum also handelt der Samariter und die anderen beiden lassen den Verletzten links liegen? Über die Beweggründe der ersten beiden können wir nur spekulieren, von dem Samariter lesen wir: „Und als der Samariter ihn sah, jammerte er ihn.“ Also: Er wird von Mitleid ergriffen, es geht ihm durch und durch.(5, S.283) Obwohl er einen Fremden vor sich hat, so wie Rettungskräfte wohl bei den meisten Einsätzen eher Unbekannte vor sich haben, trotzdem rührt es ihn an. Das könnte daran liegen, dass er sich im anderen wiedererkennt, dass er aus Erfahrung weiß, wie es sich anfühlt, wenn du in Not bist und keiner hilft, oder es hilft eben doch jemand. Und welchen Unterschied das bedeutet.
Ich erinnere mich, ich muss so etwa 5 oder 6 Jahre alt gewesen sein, als ich in der AWG unseres Ortes allein auf dem Spielplatz war. – Und das war damals selten. – Eines der Spielgeräte war ein bunt bemalter Kletterbogen aus Metall. Man konnte drüber klettern, sich dran hängen oder drunter durch laufen. Ich kam auf die Idee, zwischen den zwei Sprossen am obersten Punkt des Bogens hindurchzuschlüpfen und mich nach unten fallen zu lassen. Hoch war das nicht. Also begann ich mich mit den Füßen voran durch den Abstand zu drücken. Doch ich hatte etwas nicht bedacht. Als schon der ganze Kerl – besser gesagt, das Kerlchen – hindurch war, musste zuletzt auch noch der Kopf hinterher. Doch der war für den Abstand der Sprossen zu groß. So blieb ich kurz über den Ohren zwischen den Sprossen hängen, während meine Beine aber den Boden noch nicht berühren konnten. Um mich wieder hochzuziehen, reichte meine Armkraft nicht. Ich steckte fest und die beiden Holme aus Metall drückten immer schmerzhafter, da mein ganzes Gewicht ja nun am Kopf hing. Ich schrie aus Leibeskräften. Doch keiner war da oder kam, der helfen konnte. Und das obwohl da 4 Wohnblocks waren! Endlos hat sich das angefühlt. Irgendwann kam ein Mann und befreite mich. – Ich war gerettet. Ich kannte den Mann vom Sehen. Er war uns Kindern durch seine mürrische Art immer etwas unheimlich. Und ich war so aufgeregt und verängstigt, dass ich direkt nach Hause rannte, ohne mich bei meinem Retter zu bedanken. Seitdem weiß ich wie es ist, um Hilfe zu rufen und wenn dann jemand kommt und hilft dir.
Vielleicht hat der Samariter den Verwundeten gesehen und gedacht: Das dort könnte ich sein.(6) Die Not des anderen hat ihn berührt, und er hat sein Herz davor nicht verschlossen.
Angerührt von der Not handelt er aber nun nicht ganz nach Protokoll. In der Vorbereitung auf den Gottesdienst ist mir das Wort Gefahrenmatrix(7) begegnet. Dabei handelt es sich nicht etwa um eine neue Filmtrilogie, sondern um ein Raster, das der Einsatzkraft hilft, Gefahren zu identifizieren und im besten Falle abzustellen. Eine wesentliche Gefahr hätte hier sein können, dass die Räuber noch da sind und den Verwundeten als Köder benutzen, um noch andere zur Strecke zu bringen.(1, S.155) Gleichzeitig drängt aber die Zeit. Der Samariter kann ja nicht wissen, ob überhaupt und wenn ja, wann jemand kommt um ihn zu unterstützen. Oder wie es ein Wehrleiter auf den Punkt brachte: „Nach uns kommt nichts mehr!“ – Ein Satz über den man ruhig zweimal nachdenken sollte. – Und weil das auch im Fall des Verwundeten so sein könnte, darum geht der Samariter selbst ins Risiko. Er versorgt die Wunden mit Öl, Wein und Verbänden.
Kleine Nebenbemerkung: Vielleicht bemängeln wir aus heutiger Sicht, dass er kein Desinfektionsmittel und keine sterile Kompressen verwendet. Aber er kann eben nur auf das zurückgreifen, was er hat; und was er nicht hat, kann auch nicht zum Einsatz kommen. Hier ergibt sich die drängende Frage danach, wie gut oder eher schlecht Einsatzkräfte in unserem Land finanziell ausgestattet werden, insbesondere Dienste, in denen die Ehrenamtlichen überwiegen, wie auch im Katastrophenschutz. Auch hier gilt: Geholfen werden kann nur mit dem, was da ist.
Wieder zurück ins Geschehen: Der Samariter hebt dann den Verletzten auf sein Tier, bringt ihn in eine Herberge und pflegt ihn und sichert mit einer Geldzahlung die weitere Genesung ab. Allein in dieser kurzen Beschreibung lassen sich die Arbeit der Sanitäter und Ärzte, der Fahrdienste und der Krankenpfleger wiedererkennen. (Im Grunde genommen übernimmt der Samariter mit der Geldzahlung noch den Krankenkassenbeitrag und die Kosten für die Reha.) Der Samariter setzt alles ein, was er hat, damit der Fremde eine Chance hat, zu leben.
Das Ende der Geschichte ist dann, finde ich, nicht ganz zufriedenstellend. Wäre es nicht schön, wenn der Genesene und der Retter einander nochmal begegnen würden? Stattdessen weiß der Samariter von dem Fremden nichts. Ob er je einen Dank für seinen Einsatz erhalten wird, ist ungewiss. So wie ich dem mürrischen Mann vom Spielplatz im Grunde bis heute den Dank schuldig geblieben bin. – Das lässt mich danach fragen, wie das mit Ihnen und Euch, liebe Einsatzkräfte, eigentlich ist. Habt ihr menschlich gesehen – nicht das Recht zu erfahren, was aus denen geworden ist, für die ihr euch eingesetzt habt? Es mag z.B. mit dem Patientengeheimnis gute rechtliche Gründe geben, dass da niemand ins Plaudern kommt, aber dass ihr da oft ohne Dank und ganz im Ungewissen verbleibt, ist fürs Herz des Helfens nicht gut!
Die Geschichte endet dann mit der Aufforderung von Jesus an den Schriftgelehrten, so zu handeln wie der Samariter: Geh hin und tue desgleichen! Ich finde, das ist ein Aufruf, der ebenso gut ist, wie er auch überfordert. Aus welcher Kraft soll ich das bitte schaffen?
Für die Antwort darauf möchte ich zum Schluss die Perspektive wechseln. Bisher haben wir uns eher in der Rolle des Samariters gesehen. Aber reicht das? Trifft das immer zu? Sind wir wirklich immer die Macher und starken Helfer? Sind wir es nicht, die manchmal mental oder kräftemäßig auf der Strecke bleiben? Sind wir es nicht, die mitunter vor Trauer niedersinken, oder vom Funktionieren-Müssen ausgelaugt sind? Sind wir es nicht, die auch unter dem leiden, was sie sich und anderen schuldig bleiben? Wer hat da Öl und Wein und Verbandszeug um die Not und Angst der Seele zu lindern? – In dem, was der Samariter tut, erkenne ich wieder, wie Gott an dir und mir handelt. Ich erkenne Jesus Christus wieder, der alles einsetzt, was er hat, damit wir leben können. Zuletzt setzt er sein eigenes Leben ein für dich und mich.
Die allererste Frage in unserem Abschnitt lautete: Was muss ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe? Die Antwort dieser Geschichte lautet: Vertraue auf Christus; lass dir von ihm die Wunden verbinden; lass dich von ihm nach Hause bringen zu Gott. Tu das, so wirst du leben!
Amen.
Verwendete Literatur:
(1) William Barclay, Lukasevangelium, Auslegung des Neuen Testaments, Neukirchen-Vluyn 2006. (2) Wolfgang Wiefel, Das Evangelium nach Lukas, ThHK, Berlin 1988. (3) Helmut Thielicke, Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, in: Ders.: Das Bilderbuch Gottes. Reden über die Gleichnisse Jesu, Stuttgart 19864, S. 227-244. (4) Todesdrama am K2 - 70 Bergsteiger liefen an einem Sterbenden vorbei: https://www.welt.de/sport/article246833866/K2-Todesdrama-am-zweithoechsten-Berg-der-Welt-70-Bergsteiger-liefen-an-Sterbendem-vorbei.html (Letzter Aufruf am 15.2.2024)
(5) Anne Marijke Spijkerboer, Der barmherzige Samariter mit den Augen Rembrandts und Van Goghs neu gelesen: Lukas 10,25-37, in: M. Crüsemann u.a. (Hg.) Gott ist anders. Gleichnisse neu gelesen, Gütersloh 20202, 273-284. (6) "Könnte ich sein" so der Titel eines eindrücklichen Liedes von Clemens Bittlinger. Siehe: https://www.youtube.com/watch?v=0Myz4RWFnXs (Letzter Aufruf am 15.2.2024) - (7) Dazu finden sich viele Informationen im Netz. Siehe: https://www.feuerwehr-lernbar.bayern/lexikon/g/gefahrenmatrix/ oder auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Gefahren_der_Einsatzstelle (Letzter Aufruf am 15.2.2024)
Ev.-Luth. Kirchgemeinde Großschönau Hauptstr. 55 02779 Großschönau Tel: 035841/ 35776 Fax: 035841/ 67715 Email: kg.grossschoenau@evlks.de Pfarrer Gerd Krumbiegel Tel. 035841/ 67716 Pfarrerin Christin Jäger
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